Meistererzählungen
Amei
sen,
glaubte Schlangen zu hören, stachlige Kastanienschalen blieben in Frauenhaaren hängen. Man dachte an ab-wesende Freunde, die in diese Stunde gepaßt hätten, es waren nicht viele, Louis der Grausame wurde herbeige-358
sehnt, Klingsors Freund, der Maler der Karusselle und Zirkusse, sein phanta stischer Geist schwebte nah über der Runde. Der Nachmit tag ging hin wie ein Jahr im Paradiese. Beim Abschied wurde viel gelacht. Klingsor nahm alles in seinem Herzen mit: die Königin, den Wald, den Palast und Delphinensaal, die bei den Hunde, den Papagei.
Im Bergabwandern zwischen den Freunden überkam
ihn allmählich die frohe und hingerissene Laune, die er nur an den seltenen Tagen kannte, in denen er freiwillig die Arbeit hatte ruhen lassen. Hand in Hand mit Ersilia, mit Hermann, mit der Malerin tanzte er die besonnte Straße hinab, stimmte Lieder an, ergötzte sich kindlich an Witzen und Wortspielen, lachte hingegeben. Er rannte den andern voraus und ver steckte sich in einen Hinterhalt, um sie zu erschrecken.
So rasch man ging, die Sonne ging rascher, schon bei Palazzetto sank sie hinter den Berg, und unten im Tale war es schon Abend. Sie hatten den Weg verfehlt und waren zu tief gestiegen, man war hungrig und müde und mußte die Pläne aufgeben, die man für den Abend gesponnen hatte: Spazier gang durchs Korn nach Barengo, Fischessen im Wirtshaus des Seedorfes.
»Liebe Leute«, sagte Klingsor, der sich auf eine Mauer am Wege gesetzt hatte, »unsre Pläne waren ja sehr schön, und ein gutes Abendessen bei den Fischern oder im Monte d’oro würde gewiß mich dankbar fi nden.
Aber wir kommen nicht mehr so weit, ich wenigstens 359
nicht. Ich bin müde, und ich habe Hunger. Ich gehe von hier aus keinen Schritt mehr wei ter als bis zum nächsten Grotto, der gewiß nicht weit ist. Dort gibt es Wein und Brot, das genügt. Wer kommt mit?«
Sie kamen alle. Der Grotto wurde gefunden, im steilen Bergwald auf schmaler Terrasse standen Steinbän-ke und Ti sche im Baumdunkel, aus. dem Felsenkeller brachte der Wirt den kühlen Wein, Brot war da. Nun saß man schweigend und essend, froh, endlich zu sitzen.
Hinter den hohen Baumstäm men erlosch der Tag, der blaue Berg wurde schwarz, die rote Straße wurde weiß, man hörte unten auf der nächtlichen Straße einen Wagen fahren und einen Hund bellen, da und dort gingen am Himmel Sterne und an der Erde Lichter auf, nicht voneinander zu unterscheiden.
Glücklich saß Klingsor, ruhte, sah in die Nacht, füllte sich langsam mit Schwarzbrot, leerte still die bläulichen Tassen mit Wein. Gesättigt fi ng er wieder zu plaudern und zu singen an, schaukelte sich im Takt der Lieder, spielte mit den Frauen, witterte im Duft ihrer Haare.
Der Wein schien ihm gut. Alter Verführer, redete er leicht die Vorschläge zum Weitergehen nieder, trank Wein, schenkte Wein ein, stieß zärtlich an, ließ neuen Wein kommen. Langsam stiegen aus den irdenen bläulichen Tassen, Sinnbild der Vergänglichkeit, die bunten Zauber, wandelten die Welt, färbten Stern und Licht.
Hoch saßen sie in schwebender Schaukel überm Abgrund der Welt und Nacht, Vögel in goldenem Käfi g, 360
ohne Heimat, ohne Schwere, den Sternen gegenüber.
Sie sangen, die Vögel, sangen exotische Lieder, sie phan-tasierten aus berauschten Herzen in die Nacht, in den Himmel, in den Wald, in das fragwürdige, bezauberte Weltall hinein. Antwort kam von Stern und Mond, von Baum und Gebirg, Goethe saß da und Hafi s, heiß duftete Ägypten und innig Griechenland herauf, Mozart lächelte, Hugo Wolf spielte den Flügel in der irren Nacht.
Lärm krachte erschreckend auf, Licht blitzte knallend: un ter ihnen mitten durch das Herz der Erde fl og mit hundert blendenden Lichtfenstern ein Eisenbahnzug in den Berg und in die Nacht hinein, oben vom Himmel her läuteten Glocken einer unsichtbaren Kirche. Lauernd stieg der halbe Mond über den Tisch, blickte spiegelnd in den dunklen Wein, riß Mund und Auge einer Frau aus der Finsternis, lächelte, stieg weiter, sang den Sternen zu. Der Geist Louis’ des Grausamen hockte auf einer Bank, einsam, schrieb Briefe.
Klingsor, König der Nacht, hohe Krone im Haar,
rückge lehnt auf steinernem Sitz, dirigierte den Tanz der Welt, gab den Takt an, rief den Mond hervor, ließ die Eisenbahn ver schwinden. Fort war sie, wie ein Sternbild übern Rand des Himmels fällt. Wo war die Königin der Gebirge? Klang nicht einFlügel im Wald, bellte nicht fern der kleine mißtrauische Löwe? Hatte sie
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