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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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wahrgenommen und beschrieben werden. Ich habe im Sinn, sobald dieser Sommer herum ist, eine Zeitlang nur noch Phantasien zu malen, namentlich Träume. Es wird darin zum Teil auch nach Deinem Sinn zugehen, nämlich wahnsinnig lustig und überraschend, etwa so wie in den Geschichten Collofi nos des Hasenjägers vom Kölner Dom.
    Wenn ich auch fühle, daß der Boden unter mir etwas dünn geworden ist, und wenn ich auch im ganzen mich wenig nach weiteren Jahren und Taten sehne, ich möch-te doch immerhin noch ei nige heftige Raketen dieser Welt in den Rachen jagen. Ein Bilderkäufer schrieb mir kürzlich, er sehe mit Bewunderung, wie ich in meinen neuesten Arbeiten eine zweite Jugend er lebe. Etwas daran ist ja richtig. Zu malen habe ich eigentlich erst dies Jahr recht angefangen, scheint mir. Aber es ist weni ger ein Frühling, was ich da erlebe, als eine Explosion. Erstaunlich, wie viel Dynamit in mir noch steckt; aber Dynamit läßt sich schlecht im Sparherd brennen.
    Lieber Louis, schon oft habe ich mich im stillen dar-
    über gefreut, daß wir zwei alten Wüstlinge im Grunde so rührend schamhaft sind und einander lieber die 390
    Gläser an den Kopf schmeißen, als etwas von unsern Gefühlen gegeneinander merken zu lassen. Möge es so bleiben, alter Igel!
    Wir haben dieser Tage in jenem Grotto bei Barengo ein Fest mit Brot und Wein gefeiert, herrlich klang unser Gesang im hohen Wald in der Mitternacht, die alten römischen Lie der. Man braucht so wenig zum Glück, wenn man älter wird und an den Füßen zu frieren beginnt: acht bis zehn Stunden Arbeit am Tag, einen Liter Piemonteser, ein halbes Pfund Brot, eine Virginia, ein paar Freundinnen, und allerdings Wärme und gutes Wetter. Die haben wir, die Sonne funktio niert pracht-voll, mein Schädel ist verbrannt wie der einer Mumie.
    An manchen Tagen habe ich das Gefühl, mein Leben und Arbeiten beginne eben erst, manchmal aber kommt es mir vor, ich habe achtzig Jahre schwer gearbeitet und habe bald einen Anspruch auf Ruhe und Feierabend. Jeder kommt einmal an ein Ende, mein Louis, auch ich, auch Du. Weiß Gott, was ich Dir da schreibe, man sieht, daß ich etwas un wohl bin. Es sind wohl Hypochondrien, ich habe viel Augen schmerzen, und manchmal verfolgt mich die Erinnerung an eine Abhandlung über Netz-hautablösung, die ich vor Jahren gelesen habe.
    Wenn ich durch meine Balkontür hinuntersehe, die Du kennst, dann wird mir klar, daß wir noch eine gute Weile fl ei ßig sein müssen. Die Welt ist unsäglich schön und mannigfal tig, durch diese grüne hohe Tür läutet sie Tag und Nacht zu mir herauf und schreit und fordert, 391
    und immer wieder renne ich hinaus und reiße ein Stück davon an mich, ein winziges Stück. Die grüne Gegend hier ist durch den trocknen Som
    mer jetzt wunder-
    bar licht und rötlich geworden, ich hätte nie gedacht, daß ich wieder zu Englischrot und Siena greifen wür-de. Dann steht der ganze Herbst bevor, Stoppelfelder, Weinlese, Maisernte, rote Wälder. Ich werde das alles noch einmal mitmachen, Tag für Tag, und noch einige hundert Studien malen. Dann aber, das fühle ich, werde ich den Weg nach innen gehen und noch einmal, wie ich es als junger Kerl eine Weile tat, ganz aus der Erinnerung und Phantasie ma len, Gedichte machen und Träume spinnen. Auch das muß sein.
    Ein großer Pariser Maler, den ein junger Künstler um Rat schläge bat, hat ihm gesagt: ›Junger Mann, wenn Sie ein Ma ler werden wollen, so vergessen Sie nicht, daß man vor allem gut essen muß. Zweitens ist die Verdau-ung wichtig, sorgen Sie für einen regelmäßigen Stuhl-gang! Und drittens: halten Sie sich stets eine hübsche kleine Freundin !‹ Ja, man sollte meinen, diese Anfän-ge der Kunst habe ich gelernt, und es könne mir hierin eigentlich kaum fehlen. Aber dies Jahr, es ist verfl ucht, stimmt es bei mir auch in diesen einfachen Din gen nicht mehr recht. Ich esse wenig und schlecht, oft ganze Tage nur Brot, ich habe zuzeiten mit dem Magen zu tun (ich sage Dir: das Unnützeste, was man zu tun haben kann!), und ich habe auch keine richtige kleine Freundin, sondern habe mit vier, fünf Frauen zu tun und bin ebenso-392
    oft erschöpft wie hungrig. Es fehlt etwas am Uhrwerk, und seit ich mit der Na del hineingestochen habe, läuft es zwar wieder, aber rasch wie der Satan, und rasselt so unvertraut dabei. Wie einfach ist das Leben, wenn man gesund ist! Du hast noch nie einen so langen Brief von mir bekommen, außer vielleicht damals in der Zeit, wo wir über die

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