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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ich sie. Ich liebe meine Hand, ich liebe meine Augen, ich liebe meinen weißen, zärtlichen Bauch, ich liebe sie mit Bedauern und mit Spott und mit großer Zärtlichkeit, weil sie alle so bald verwelken und verfaulen müssen. Schat ten, du dunkler Freund, alter Zinnsoldat auf dem Grabe An-dersens, auch dir ergeht es so, lieber Kerl! Stoß mit mir an, unsre lieben Glieder und Eingeweide sollen leben!«
    Sie stießen an, dunkel lächelte der Schatten aus seinen tie fen Höhlenaugen – und plötzlich ging etwas durch den Saal, wie ein Wind, wie ein Geist. Verstummt war unversehens die Musik, plötzlich, wie erloschen, wegge-fl ossen waren die Tänzer, von der Nacht verschlungen, und die Hälfte der Lichter war verlöscht.
    Klingsor blickte nach den schwarzen Türen. Draußen stand der Tod. Er sah ihn stehen. Er roch ihn. Wie Regentropfen in Landstraßenlaub, so roch der Tod.

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    Da rückte Li die Schale von sich weg, stieß den Stuhl von sich und ging langsam aus dem Saal, in den dunklen Garten hinaus und fort, im Finstern, Wetterleuchten überm Haupt, allein. Schwer lag ihm das Herz in der Brust, wie der Stein auf einem Grab.
    Abend im August
    Im sinkenden Abend kam Klingsor – er hatte den Nachmittag in Sonne und Wind bei Manuzzo und Veglia gemalt – sehr müde im Wald über Veglia zu einem kleinen, schlafen den Canvetto. Es gelang ihm, eine greise Wirtsfrau herbeizu rufen, sie brachte ihm eine irdene Tasse voll Wein, er setzte sich auf einen Nußbaumstumpf vor der Tür und packte den Rucksack aus, fand noch ein Stück Käse und einige Pfl au men darin, und hielt sein Nachtmahl. Die alte Frau saß dabei, weiß, gebückt und zahnlos, und erzählte mit faltig arbeiten dem Halse und stillgewordenen alten Augen vom Leben ih res Weilers und ihrer Familie, vom Krieg und der Teuerung und vom Stand der Felder, von Wein und Milch und was sie kosten, von gestorbenen Enkeln und ausgewanderten Söh nen; alle Lebenszeiten und Sternbilder dieses kleinen Bau ernlebens lagen klar und freundlich ausgebreitet, rauh in dürftiger Schönheit, voll Freude und Sorge, voll Angst und Leben. Klingsor aß, trank, ruhte, hörte zu, fragte nach Kin dern und Vieh, Pfarrer und Bischof, lobte freundlich den ärmlichen Wein, bot eine letzte Pfl aume an, gab die Hand, wünschte eine glückliche 381
    Nacht und stieg, am Stock und mit dem Sack beschwert, langsam in den lichten Wald bergauf wärts, dem Nachtlager entgegen.
    Es war die spätgoldene Stunde, noch glühte Licht des Ta ges überall, doch gewann der Mond schon Schimmer, und erste Fledermäuse schwammen in der grünen Flim-merluft. Ein Waldrand stand sanft im letzten Licht, helle Kastanien stämme vor schwarzen Schatten, eine gelbe Hütte strahlte leise das eingesogene Tageslicht von sich, sanftglühend wie ein gelber Topas, rosenrot und violett führten die kleinen Wege durch Wiesen, Reben und Wald, da und dort schon ein gelber Akazienzweig, der Westhimmel golden und grün über sammetblauen Bergen.
    Oh, jetzt noch arbeiten zu können, in der letzten, verzau
    berten Viertelstunde des reifen Sommertages,
    der nie wieder kam! Wie namenlos schön war alles jetzt, wie ruhig, gut und spendend, wie voll von Gott!
    Klingsor setzte sich ins kühle Gras, griff mechanisch nach dem Bleistift und ließ die Hand lächelnd wieder sinken. Er war todmüde. Seine Finger betasteten das trockene Gras, die trockene mürbe Erde. Wie lange noch, dann war dies liebe erregende Spiel vorbei! Wie lange noch, dann hatte man Hand und Mund und Augen voll Erde! Th
    u Fu hatte ihm dieser Tage ein Gedicht
    gesandt, dessen erinnerte er sich und sagte es langsam vor sich hin:

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    »Vom Baum des Lebens fällt
    Mir Blatt um Blatt.
    O taumelbunte Welt,
    Wie machst du satt,
    Wie machst du satt und müd,
    Wie machst du trunken!
    Was heut noch glüht,
    Ist bald versunken.
    Bald klirrt der Wind
    Über mein braunes Grab,
    Über das kleine Kind
    Beugt sich die Mutter herab.
    Ihre Augen will ich wiedersehn,
    Ihr Blick ist mein Stern,
    Alles andre mag gehn und verwehn,
    Alles stirbt, alles stirbt gern.
    Nur die ewige Mutter bleibt,
    Von der wir kamen,
    Ihr spielender Finger schreibt
    In die fl üchtige Luft unsre Namen.«
    Nun, es war gut so. Wie viele hatte Klingsor noch von sei nen zehn Leben? Drei? Zwei? Mehr als eines war es immer noch, immer noch mehr als ein braves, gewöhnliches Allerwelts- und Bürgerleben. Und viel hatte er getan, viel gesehen, viel Papier und Leinwand bemalt, viele Herzen in Liebe und Haß erregt, in

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