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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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eines Verfolgten, eines Leidenden, eines Suchen-den, ei nes Wüstlings, eines enfant perdu. Den Kopf aber baute er majestätisch und brutal, einen Urwaldgötzen, einen in sich verliebten, eifersüchtigen Jehova, einen Popanz, vor dem man Erstlinge und Jungfrauen opfert.
    Dies waren einige sei ner Gesichter. Ein andres war das des Verfallenden, des Un tergehenden, des mit seinem Untergang Einverstandenen: Moos wuchs auf seinem Schädel, schief standen die alten Zähne, Risse durchzo-gen die welke Haut, und in den Rissen stand Schorf und 396
    Schimmel. Das ist es, was einige Freunde an dem Bilde besonders lieben. Sie sagen: es ist der Mensch, ecce homo, der müde, gierige, wilde, kindliche und raffi nierte
    Mensch unsrer späten Zeit, der sterbende, sterbenwol-lende Europamensch: von jeder Sehnsucht verfeinert, von je dem Laster krank, vom Wissen um seinen Untergang enthu siastisch beseelt, zu jedem Fortschritt bereit, zu jedem Rück schritt reif, ganz Glut und auch ganz Müdigkeit, dem Schicksal und dem Schmerz ergeben wie der Morphinist dem Gift, vereinsamt, ausgehöhlt, uralt, Faust zugleich und Karamasow, Tier und Weiser, ganz entblößt, ganz ohne Ehrgeiz, ganz nackt, voll von Kinderangst vor dem Tode und voll von müder Bereitschaft, ihn zu sterben. Und noch weiter, noch tiefer hinter all diesen Gesichtern schliefen fernere, tiefere, ältere Gesichter, vormenschliche, tierische, pfl anzliche, steinerne, so als erinnere sich der letzte Mensch auf Erden im Augenblick vor dem Tode nochmals traumschnell an alle Ge staltungen seiner Vorzeit und Weltenjugend.
    In diesen rasend gespannten Tagen lebte Klingsor wie ein Ekstatiker. Nachts füllte er sich schwer mit Wein und stand dann, die Kerze in der Hand, vor dem alten Spiegel, betrach tete das Gesicht im Glas, das schwermütig grinsende Gesicht des Säufers. Den einen Abend hatte er eine Geliebte bei sich, auf dem Diwan im Studio, und während er sie nackt an sich gedrückt hielt, starrte er über ihre Schulter weg in den Spie gel, sah neben ihrem aufgelösten Haar sein verzerrtes Ge sicht, voll Wollust 397
    und voll Ekel vor der Wollust, mit geröte ten Augen. Er hieß sie morgen wiederkommen, aber Grauen hatte sie gefaßt, sie kam nicht wieder.
    Nachts schlief er wenig. Oft erwachte er aus angstvollen Träumen, Schweiß im Gesicht, wild und lebensmü-
    de, und sprang doch alsbald auf, starrte in den Schrank-spiegel, las die wüste Landschaft dieser verstörten Züge ab, düster, haß voll, oder lächelnd, wie schadenfroh. Er hatte einen Traum, in dem sah er sich selbst, wie er gefoltert wurde, in die Augen wurden Nägel geschlagen, die Nase mit Haken aufgerissen; und er zeichnete dies gefolterte Gesicht, mit den Nägeln in den Augen, mit Kohle auf einen Buchdeckel, der ihm zur Hand lag; wir fanden das seltsame Blatt nach seinem Tode. Von einem Anfall von Gesichtsneuralgien befallen, hing er krumm über die Lehne eines Stuhles, lachte und schrie vor Pein und hielt sein entstelltes Gesicht vor das Glas des Spiegels, betrachtete die Zuckungen, verhöhnte die Tränen.
    Und nicht sein Gesicht allein, oder seine tausend Gesich ter, malte er auf dies Bild, nicht bloß seine Augen und Lip pen, die leidvolle Talschlucht des Mundes, den gespaltenen Felsen der Stirn, die wurzelhaften Hände, die zuckenden Finger, den Hohn des Verstandes, den Tod im Auge. Er malte, in seiner eigenwilligen, überfüllten, gedrängten und zuckenden Pinselschrift, sein Leben dazu, seine Liebe, seinen Glauben, seine Verzweif-lung. Scharen nackter Frauen malte er mit, im Sturm vorbeigetrieben wie Vögel, Schlachtopfer vor dem Göt-398
    zen Klingsor, und einen Jüngling mit dem Ge sicht des Selbstmörders, ferne Tempel und Wälder, einen al ten bärtigen Gott, mächtig und dumm, eine Frauenbrust, vom Dolch gespalten, Schmetterlinge mit Gesichtern auf den Flügeln, und zuhinterst im Bilde, am Rande des Chaos den Tod, ein graues Gespenst, der mit einem Speer, klein wie eine Nadel, in das Gehirn des gemalten Klingsor stach.
    Wenn er stundenlang gemalt hatte, trieb Unruhe ihn auf, rastlos lief er und fl ackernd durch sein Zimmer, die Türen wehten hinter ihm, riß Flaschen aus dem Schrank, riß Bücher aus den Schäften, Teppiche von den Tischen, lag lesend am Boden, lehnte sich tief atmend aus den Fenstern, suchte alte Zeichnungen und Photographien und füllte Böden und Ti sche und Betten und Stühle aller Zimmer mit Papieren, Bil dern, Büchern, Briefen an. Alles wehte wirr und traurig durcheinander,

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