Meistererzählungen
Kunst und Leben viel Ärgernis und frischen Wind in die Welt gebracht. Viel 383
Frauen hatte er geliebt, viele Traditionen und Heiligtü-
mer zerstört, viel neue Dinge ge wagt. Viele volle Becher hatte er leergesogen, viel Tage und Sternennächte geatmet, unter vielen Sonnen gebrannt, in vie len Wassern geschwommen. Nun saß er hier, in Italien oder Indien oder China, der Sommerwind stieß launisch in die Ka-stanienkronen, gut und vollkommen war die Welt. Es war gleichgültig, ob er noch hundert Bilder malte oder zehn, ob er noch zwanzig Sommer lebte oder einen.
Müde war er ge worden, müde. Alles stirbt, alles stirbt gern. Braver Th
u Fu! Es war Zeit, nach Hause zu kom-
men. Er würde ins Zimmer wanken, vom Wind durch die Balkontür empfangen. Er würde Licht machen und seine Skizzen auspacken. Das Waldinnere mit dem vielen Chromgelb und Chinesischblau war vielleicht gut, es würde einmal ein Bild geben. Auf denn, es war Zeit.
Er blieb dennoch sitzen, den Wind im Haar, in der wehen den beschmierten Leinenjacke, Lächeln und Weh im abend lichen Herzen. Weich und schlaff wehte der Wind, weich und lautlos taumelten die Fledermäuse im erlöschenden Himmel. Alles stirbt, alles stirbt gern. Nur die ewige Mutter bleibt.
Er konnte auch hier schlafen, wenigstens eine Stunde, es war ja warm. Er legte den Kopf auf den Rucksack und sah in den Himmel. Wie ist die Welt schön, wie macht sie satt und müd! Schritte kamen den Berg herab, kräftig auf losen höl zernen Sohlen. Zwischen den Farnen und Ginstern erschien eine Gestalt, eine Frau, schon waren 384
die Farben ihrer Kleider nicht mehr zu erkennen. Sie kam näher, in gesundem, gleich mäßigem Tritt. Klingsor sprang auf und rief guten Abend. Sie erschrak ein wenig und blieb einen Augenblick stehen. Er sah ihr ins Gesicht.
Er kannte sie, er wußte nicht, woher. Sie war hübsch und dunkel, hell blitzten ihre schönen, festen Zähne.
»Sieh da!« rief er und gab ihr die Hand. Er spürte, daß ihn etwas mit dieser Frau verband, irgendeine kleine Erinnerung. »Kennt man sich noch?«
»Madonna! Ihr seid ja der Maler von Castagnetta!
Habt Ihr mich noch gekannt?«
Ja, jetzt wußte er. Sie war eine Bauernfrau vom Ta-vernetal, bei ihrem Hause hatte er einst, in der schon so schattentiefen und verwirrten Vergangenheit dieses Sommers, einige Stun den gemalt, hatte Wasser an ihrem Brunnen geschöpft, eine Stunde im Schatten des Feigenbaumes geschlummert, und zum Schluß einen Becher Wein und einen Kuß von ihr be kommen.
»Ihr seid nie mehr wiedergekommen«, klagte sie.
»Ihr hat tet es mir doch so sehr versprochen.«
Mutwille und Herausforderung klangen in ihrer tiefen Stimme. Klingsor wurde lebendig.
»Ecco, desto besser, daß du nun zu mir gekommen bist! Was für ein Glück ich habe, grade jetzt, wo ich so allein und traurig war!«
»Traurig? Macht mir nichts vor, Herr, Ihr seid ein Spaß macher, kein Wort darf man Euch glauben. Na, ich muß aber weiter.«
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»Oh, dann begleite ich dich.«
»Es ist nicht Euer Weg und ist auch nicht nötig. Was soll mir passieren?«
»Dir nichts, aber mir. Wie leicht könnte einer kommen und dir gefallen und ginge mit dir und küßte deinen lieben Mund und deinen Hals und deine schöne Brust, ein andrer statt meiner. Nein, das darf nicht sein.«
Er hatte die Hand um ihren Nacken gelegt und ließ sie nicht mehr los.
»Stern, mein kleiner! Schatz! Meine kleine süße Pfl au-me! Beiß mich, sonst esse ich dich.«
Er küßte sie, die sich lachend zurückbog, auf den off -
nen, starken Mund, zwischen Sträuben und Widerreden gab sie nach, küßte wieder, schüttelte den Kopf, lachte, suchte sich freizumachen. Er hielt sie an sich gezogen, seinen Mund auf ihrem, seine Hand auf ihrer Brust, ihr Haar roch wie Som mer, nach Heu, Ginster, Farnkraut, Brombeeren. Einen Augenblick tief Atem schöpfend, bog er den Kopf zurück, da sah er am verglühten Himmel klein und weiß den ersten Stern aufgegangen. Die Frau schwieg, ihr Gesicht war ernst geworden, sie seufzte, sie legte ihre Hand auf seine und drückte sie fester um ihre Brust. Er bückte sich sanft, drückte ihr den Arm in die Kniekehlen, die nicht widerstrebten, und bettete sie ins Gras.
»Hast du mich lieb?« fragte sie wie ein kleines Mädchen. »Povera me!«
Sie tranken den Becher, Wind strich über ihr Haar und nahm ihren Atem mit.
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Ehe sie Abschied nahmen, suchte er im Rucksack, in sei nen Rocktaschen, ob er ihr nichts zu schenken habe, fand eine kleine silberne
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