Meistererzählungen
vorbei, ein Mädchen, kräftig und taktfest, sehr aufrecht und heraus fordernd, elegant, hochmütig, ein kühles Gesicht mit ge schminkter Lippenröte und einem hohen dichten Haarbau von hellem, metallischem Gelb. Ihr Blick traf ihn im Vorbei gehen eine Sekunde, sicher und abschätzend wie die Blicke des Portiers und Boys im Hotel, und lief gleichgültig weiter.
Allerdings, dachte Klein, sie hat recht, ich bin kein Mensch, den man beachtet. Unsereinem schaut so
eine nicht nach. Dennoch tat die Kürze und Kühle ihres Blickes ihm heimlich weh, er kam sich abgeschätzt und mißachtet vor von jemand, der nur Oberfl äche und Außenseite sah, und aus den Tiefen seiner Vergangenheit wuchsen ihm Stacheln und Waff en empor, um sich gegen sie zu wehren. Schon war ver gessen, daß ihr fei-430
ner belebter Schuh, ihr so sehr elastischer und sicherer Gang, ihr straff es Bein im dünnen Seiden strumpf ihn einen Augenblick gefesselt und beglückt hatten. Ausgelöscht war das Rauschen ihres Kleides und der dünne Wohlgeruch, der an ihr Haar und an ihre Haut erinnerte. Weggeworfen und zerstampft war der schöne holde Hauch von Geschlecht und Liebesmöglichkeit, der ihn von ihr ge streift hatte. Statt dessen kamen viele Erinnerungen. Wie oft hatte er solche Wesen gesehn, solche junge, sichere und her ausfordernde Personen, seien es nun Dirnen oder eitle Ge sellschaftsweiber, wie oft hatte ihre schamlose Herausforde rung ihn geärgert, ihre Sicherheit ihn irritiert, ihr kühles, brutales Sichzeigen ihn angewidert! Wie manchmal hatte er, auf Ausfl ügen und in städtischen Restaurants, die Empörung seiner Frau über solche unweibliche und hetärenhafte Wesen von Herzen geteilt!
Mißmutig streckte er die Beine von sich. Dieses Weib hatte ihm seine gute Stimmung verdorben! Er fühlte sich ärgerlich, gereizt und benachteiligt, er wußte: wenn diese mit dem gel
ben Haar nochmals
vorüberkommen und ihn nochmals mu
stern würde,
dann würde er rot werden und sich in seinen Kleidern, seinem Hut, seinen Schuhen, seinem Gesicht, Haar und Bart unzulänglich und minderwertig vorkommen!
Hole sie der Teufel! Schon dies gelbe Haar! Es war falsch, es gab nirgends in der Welt so gelbe Haare. Ge-schminkt war sie auch. Wie nur ein Mensch sich dazu 431
hergeben konnte, seine Lippen mit Schminke anzu-malen – negerhaft! Und solche Leute liefen herum, als gehörte ihnen die Welt, sie besaßen das Auftreten, die Sicherheit, die Frechheit und verdarben anständigen Leuten die Freude.
Mit den wieder aufwogenden Gefühlen von Unlust, Ärger und Befangenheit kam abermals ein Schwall von Vergangen heit heraufgekocht, und plötzlich dazwischen der Einfall: du berufst dich ja auf deine Frau, du gibst ihr ja recht, du ord nest dich ihr wieder unter! Einen Augenblick lang überfl oß ihn ein Gefühl wie: ich bin ein Esel, daß ich noch immer mich unter die ›anständigen Menschen‹ rechne, ich bin ja keiner mehr, ich gehöre geradeso wie diese Gelbe zu einer Welt, die nicht mehr meine frühere und nicht mehr die anständige ist, in eine Welt, wo anständig oder unanständig nichts mehr be deutet, wo jeder für sich das schwere Leben zu leben sucht. Einen Augenblick lang empfand er, daß seine Verachtung für die Gelbe ebenso oberfl ächlich und unaufrichtig war wie seine einstige Empörung über den Schullehrer und Mörder Wagner und auch seine Abneigung gegen den andern Wag ner, dessen Musik er einst als allzu sinnen-schwül empfunden hatte. Eine Sekunde lang tat sein verschütteter Sinn, sein ver lorengegangenes Ich die Augen auf und sagte ihm mit seinem allwissenden Blick, daß alle Empörung, aller Ärger, alle Ver achtung ein Irrtum und eine Kinderei sei und auf den armen Kerl von Verächter zurückfalle.
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Dieser gute, alleswissende Sinn sagte ihm auch, daß er hier wieder vor einem Geheimnis stehe, dessen Deutung für sein Leben wichtig sei, daß diese Dirne oder Weltdame, daß die ser Duft von Eleganz, Verführung und Geschlecht ihm kei neswegs zuwider und beleidi-gend sei, sondern daß er sich diese Urteile nur eingebildet und eingehämmert habe, aus Angst vor seiner wirklichen Natur, aus Angst vor Wagner, aus Angst vor dem Tier oder Teufel, den er in sich entdecken konnte, wenn er einmal die Fesseln und Verkleidungen sei ner Sitte und Bürgerlichkeit abwürfe. Blitzhaft zuckte etwas wie Lachen, wie Hohnlachen in ihm auf, das aber alsbald wieder schwieg. Es siegte wieder das Mißgefühl. Es war un heimlich, wie jedes Erwachen, jede
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