Meistererzählungen
Sie mit mir!« gebot der Kandidat und
nahm den willenlos folgenden Fremdling mit zum Hause hinüber, wo ihm gleich unter der Tür Herr Abderegg begegnete.
»Guten Morgen, Herr Homburger, Sie sind ja früh 56
auf! Aber was bringen Sie da für merkwürdige Gesellschaft?«
»Dieser Bursche hat Ihren Park als Nachtherberge be-nützt. Ich glaubte Sie davon unterrichten zu müssen.«
Der Hausherr begriff sofort. Er schmunzelte.
»Ich danke Ihnen, lieber Herr. Off en gestanden, ich hätte kaum ein so weiches Herz bei Ihnen vermutet.
Aber Sie ha ben recht, es ist ja klar, daß der arme Kerl zum mindesten ei
nen Kaff ee bekommen muß. Viel-
leicht sagen Sie drinnen dem Fräulein, sie möchte ein Frühstück für ihn herausschicken? Oder warten Sie, wir bringen ihn gleich in die Küche. – Kommen Sie mit, Kleiner, es ist schon was übrig.«
Am Kaff eetisch umgab sich der Mitbegründer einer neuen Kultur mit einer majestätischen Wolke von Ernst und Schweigsamkeit, was den alten Herrn nicht wenig freute. Es kam jedoch zu keiner Neckerei, schon weil die heute erwar teten Gäste alle Gedanken in Anspruch nahmen.
Die Tante hüpfte immer wieder sorgend und lächelnd von einer Gaststube in die andere, die Dienstboten nahmen maßvoll an der Aufregung teil oder grinsten zuschauend, und ge gen Mittag setzte sich der Hausherr mit Paul in den Wagen, um zur nahen Bahnstation zu fahren.
Wenn es in Pauls Wesen lag, daß er die Unterbrechungen seines gewohnten stillen Ferienlebens durch Gastbesuche fürchtete, so war es ihm ebenso natürlich, 57
die einmal Ange kommenen nach seiner Weise mög-
lichst kennenzulernen, ihr Wesen zu beobachten und sie sich irgendwie zu eigen zu ma chen. So betrachtete er auf der Heimfahrt im etwas überfüll ten Wagen die drei Fremden mit stiller Aufmerksamkeit, zuerst den lebhaft redenden Professor, dann mit einiger Scheu die beiden Mädchen.
Der Professor gefi el ihm, schon weil er wußte, daß er ein Duzfreund seines Vaters war. Im übrigen fand er ihn ein we nig streng und ältlich, aber nicht zuwider und jedenfalls un säglich gescheit. Viel schwerer war es, über die Mädchen ins reine zu kommen. Die eine war eben schlechthin ein junges Mädchen, ein Backfi sch, jedenfalls ziemlich gleich alt wie er selber. Es würde nur darauf ankommen, ob sie von der spöt tischen oder gutmütigen Art war, je nachdem würde es Krieg oder Freundschaft zwischen ihm und ihr geben. Im Grunde waren ja alle jungen Mädchen dieses Alters gleich, und es war mit allen gleich schwer zu reden und auszukommen. Es gefi el ihm, daß sie wenigstens still war und nicht gleich einen Sack voll Fragen auskramte.
Die andere gab ihm mehr zu raten. Sie war, was er freilich nicht zu berechnen verstand, vielleicht drei-oder vierund zwanzig und gehörte zu der Art von Damen, welche Paul zwar sehr gerne sah und von weitem betrachtete, deren nähe
rer Umgang ihn aber scheu
machte und meist in Verlegenheit verwickelte. Er wuß-
te an solchen Wesen die natürliche Schönheit durchaus 58
nicht von der eleganten Haltung und Kleidung zu trennen, fand ihre Gesten und ihre Frisuren meist aff ektiert und vermutete bei ihnen eine Menge von überlegenen Kenntnissen über Dinge, die ihm tiefe Rätsel waren.
Wenn er genau darüber nachdachte, haßte er diese ganze Gattung. Sie sahen alle schön aus, aber sie hatten auch alle die gleiche demütigende Zierlichkeit und Sicherheit im Be
nehmen, die gleichen hochmütigen
Ansprüche und die glei che geringschätzende Herablas-sung gegen Jünglinge seines Alters. Und wenn sie lachten oder lächelten, was sie sehr häu fi g taten, sah es oft so unleidlich maskenhaft und verlogen aus. Darin waren die Backfi sche doch viel erträglicher.
Am Gespräch nahm außer den beiden Männern nur
Fräu lein Th
usnelde – das war die ältere, elegante – teil.
Die kleine blonde Berta schwieg ebenso scheu und beharrlich wie Paul, dem sie gegenübersaß. Sie trug einen großen, weich geboge nen, ungefärbten Strohhut mit blauen Bändern und ein blaß blaues, dünnes Sommerkleid mit losem Gürtel und schmalen weißen Säumen.
Es schien, als sei sie ganz in den Anblick der sonnigen Felder und heißen Heuwiesen verloren.
Aber zwischenein warf sie häufi g einen schnellen Blick auf Paul. Sie wäre noch einmal so gern mit nach Erlenhof ge kommen, wenn nur der Junge nicht gewesen wäre. Er sah ja sehr ordentlich aus, aber gescheit, und die Gescheiten waren doch meistens die Widerwärtigsten.
Da würde es
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