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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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alles, wovor er Angst empfand, das begehrte und ersehnte er dennoch zugleich – er war voll brennender Sehnsucht und Neugierde nach Leid, nach Un tergang, nach Verfolgung, nach Wahnsinn und Tod.

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    »Komische Welt«, sagte er vor sich hin, und meinte damit nicht die Welt um ihn her, sondern dies innere Wesen. Plaudernd verließen sie den Saal und das Haus, kamen im blassen Laternenlicht an das schlafende Seeufer, wo sie ihren Boots mann wecken mußten. Es dauerte eine Weile, bis das Boot abfahren konnte, und die beiden standen nebeneinander, plötzlich aus der Lichtfülle und farbigen Geselligkeit des Ka sinos in die dunkle Stille des verlassenen nächtlichen Ufers verzaubert, das Lachen von drüben noch auf erhitzten Lip pen und schon kühl berührt von Nacht, Schlafnähe und Furcht vor Einsamkeit. Sie fühlten beide dasselbe. Unverse hens hielten sie sich bei den Händen, lächelten irr und verlegen in die Dunkelheit, spielten mit zuckenden Fingern einer auf Hand und Arm des andern. Der Bootsmann rief, sie stie gen ein, setzten sich in die Kabine, und mit heftigem Griff zog er den blonden schweren Kopf zu sich her und in die ausbrechende Glut seiner Küsse.
    Zwischenein sich erweh rend, setzte sie sich aufrecht und fragte: »Werden wir wohl bald wieder hier herüber fahren?«
    Mitten in der Liebeserregung mußte er heimlich lachen. Sie dachte bei allem noch ans Spiel, sie wollte wiederkommen und ihr Geschäft fortsetzen.
    »Wann du willst«, sagte er werbend, »morgen und über morgen und jeden Tag, den du willst.«
    Als er ihre Finger in seinem Nacken spielen fühlte, durchzuckte ihn Erinnerung an das furchtbare Gefühl 499
    im Traum, als das rächende Weib ihm die Nägel in den Hals krallte.
    Jetzt sollte sie mich plötzlich töten, das wäre das richtiges dachte er glühend – ›oder ich sie.‹
    Ihre Brust mit tastender Hand umspannend lachte er leise vor sich hin. Unmöglich wäre es ihm gewesen, noch Lust und Weh zu unterscheiden. Auch seine Lust, seine hungrige Sehnsucht nach der Umarmung mit diesem schönen starken Weibe, war von Angst kaum zu unterscheiden, er ersehnte sie wie der Verurteilte das Beil. Beides war da, fl ammende Lust und trostlose Trauer, beides brannte, beides zuckte in fi e bernden Sternen auf, beides wärmte, beides tötete.
    Teresina entzog sich geschmeidig einer zu kühnen Lieb kosung, hielt seine beiden Hände fest, brachte ihre Augen nah an seine und fl üsterte wie abwesend: »Was bist du für ein Mensch, du? Warum liebe ich dich? Warum zieht mich etwas zu dir? Du bist schon alt und bist nicht schön – wie ist das?
    Höre, ich glaube doch, daß du ein Verbrecher bist.
    Bist du nicht einer? Ist dein Geld nicht gestohlen?«
    Er suchte sich loszumachen: »Rede nicht, Teresina!
    Alles Geld ist gestohlen, alle Habe ist ungerecht. Ist denn das wichtig? Wir sind alle Sünder, wir sind alle Verbrecher, nur schon weil wir leben. Ist denn das wichtig?«
    »Ach, was ist wichtig?« zuckte sie auf.
    »Wichtig ist, daß wir diesen Becher austrinken«, sagte Klein langsam, »nichts anderes ist wichtig. Vielleicht 500
    kommt er nicht wieder. Willst du mit mir schlafen kommen, oder darf ich mit dir gehen?«
    »Komm zu mir«, sagte sie leise. »Ich habe Angst vor dir, und doch muß ich bei dir sein. Sage mir dein Geheimnis nicht! Ich will nichts wissen!«
    Das Abklingen des Motors weckte sie, sie riß sich los, strich sich klärend über Haar und Kleider. Das Boot lief leise an den Steg, Laternenlichter spiegelten splitternd im schwar zen Wasser. Sie stiegen aus.
    »Halt, meine Tasche!« rief Teresina nach zehn Schritten. Sie lief zum Steg zurück, sprang ins Boot, fand auf dem Pol ster die Tasche mit ihrem Geld liegen, warf dem mißtrauisch blickenden Fährmann einen der Scheine hin und lief Klein in die Arme, der sie am Kai erwartete.
    
    Der Sommer hatte plötzlich begonnen, in zwei heißen Tagen hatte er die Welt verändert, die Wälder vertieft, die Nächte verzaubert. Heiß drängte sich Stunde an Stunde, schnell lief die Sonne ihren glühenden Halbkreis ab, schnell und hastig folgten ihr die Sterne, Lebensfi eber glühte hoch, eine lautlose gierige Eile jagte die Welt.
    Ein Abend kam, da wurde Teresinas Tanz im Kur-
    saal durch ein rasend hertobendes Gewitter unterbrochen. Lam pen erloschen, irre Gesichter grinsten sich im weißen Flackern der Blitze an, Weiber schrien, Kellner brüllten, Fenster zerklirrten im Sturm.

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    Klein hatte Teresina sofort zu sich an den Tisch gezogen, wo

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