Meistererzählungen
als sei er keine Stunde seiner Dauer gewiß, als könne jeden Augenblick etwas geschehen, das ihn weg wischte. Aus Sälen, wo gespeist und Champagner getrunken wurde, quoll süße überhitzte Geigenmusik heraus, auf Trep pen zwischen Palmen und laufenden Brunnen glühten Blu mengruppen und Frauenkleider durcheinander, bleiche Männergesichter über off nen Abendröcken, blaue Diener mit Goldknöpfen, geschäftig, dienstbar und vielwissend, duftende Weiber mit südlichen Gesichtern, bleich und glü hend, schön und rank, und nordische derbe Frauen, drall, befehlend und selbstbewußt, alte Herren wie Illustrationen zu Turgenjew und Fontane.
Klein fühlte sich unwohl und müde, sobald sie die Säle be traten. Im großen Spielsaal zog er zwei Tausenderscheine aus der Tasche.
»Wie nun?« fragte er. »Wollen wir gemeinsam spielen?«
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»Nein, nein, das ist nichts. Jeder für sich.«
Er gab ihr einen Schein und bat sie, ihn zu führen.
Sie stan den bald an einem Spieltisch. Klein legte seine Banknote auf eine Nummer, das Rad wurde gedreht, er verstand nichts da von, sah nur seinen Einsatz wegge-wischt und verschwunden. Das geht schnell, dachte er befriedigt, und wollte Teresina zulachen. Sie war nicht mehr neben ihm. Er sah sie bei einem andern Tisch stehen und ihr Geld wechseln. Er ging hinüber. Sie sah nachdenklich, besorgt und sehr beschäftigt aus wie eine Hausfrau.
Er folgte ihr an einen Spieltisch und sah ihr zu. Sie kannte das Spiel und folgte ihm mit scharfer Aufmerksamkeit. Sie setzte kleine Summen, nie mehr als fünfzig Franken, bald hier, bald dort, gewann einige Male, steckte Scheine in ihre perlengestickte Handtasche, zog wieder Scheine heraus.
»Wie geht’s?« fragte er zwischenein.
Sie war empfi ndlich über die Störung.
»Oh, lassen Sie mich spielen! Ich werde es schon gut ma chen.«
Bald wechselte sie den Tisch, er folgte ihr, ohne daß sie ihn sah. Da sie so sehr beschäftigt war und seine Dienste nie in Anspruch nahm, zog er sich auf eine Lederbank an der Wand zurück. Einsamkeit schlug über ihm zusammen. Er versank in Nachdenken über seinen Traum. Es war sehr wichtig, ihn zu verstehen. Vielleicht würde er nicht oft mehr solche Träume haben, vielleicht waren sie 493
wie im Märchen die Winke der guten Geister: zweimal, auch dreimal wurde man gelockt, oder wurde gewarnt, war man dann immer noch blind, so nahm das Schicksal seinen Lauf, und keine befreun dete Macht griff mehr ins Rad. Von Zeit zu Zeit blickte er nach Teresina aus, sah sie an einem Tisch bald sitzen, bald stehen, hell schimmerte ihr gelbes Haar zwischen den Fräcken.
Wie lang sie mit den tausend Franken ausreicht!
dachte er gelangweilt, bei mir ging das schneller.
Einmal nickte sie ihm zu. Einmal, nach einer Stunde, kam sie herüber, fand ihn in sich versunken und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Was machen Sie? Spielen Sie denn nicht?«
»Ich habe schon gespielt.«
»Verloren?«
»Ja. Oh, es war nicht viel.«
»Ich habe etwas gewonnen. Nehmen Sie von meinem Geld.«
»Danke, heut nicht mehr. – Sind Sie zufrieden?«
»Ja, es ist schön. Nun, ich gehe wieder. Oder wollen Sie schon nach Hause?«
Sie spielte weiter, da und dort sah er ihr Haar zwischen den Schultern der Spieler aufglänzen. Er brachte ihr ein Glas Champagner hinüber und trank selbst ein Glas. Dann setzte er sich wieder auf die Lederbank an der Wand.
Wie war das mit den beiden Frauen im Traum? Sie hatten seiner eigenen Frau geglichen und auch der Frau 494
im Dorf wirtshaus und auch Teresina. Von andern Frauen wußte er nicht, seit Jahren nicht. Die eine Frau hatte er erstochen, voll Abscheu über ihr verzerrtes geschwollenes Gesicht. Die an dre hatte ihn überfallen, von hinten, und erwürgen wollen. Was war nun richtig? Was war bedeutsam? Hatte er seine Frau verwundet, oder sie ihn? Würde er an Teresina zu grunde gehen, oder sie an ihm? Konnte er eine Frau nicht lie ben, ohne ihr Wunden zu schlagen, und ohne von ihr ver wundet zu werden? War das sein Fluch? Oder war das allge mein?
Ging es allen so? War alle Liebe so?
Und was verband ihn mit dieser Tänzerin? Daß er sie liebte? Er hatte viele Frauen geliebt, die nie davon erfahren hatten. Was band ihn an sie, die drüben stand und Glücks spiel wie ein ernstes Geschäft betrieb? Wie war sie kindlich in ihrem Eifer, in ihrer Hoff nung, wie war sie gesund, naiv und lebenshungrig! Was würde sie davon verstehen, wenn sie seine tiefste Sehnsucht kannte, das Verlangen nach Tod, das Heimweh
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