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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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er neben dem alten Komiker saß.
    »Herrlich!« sagte er. »Wir gehen. Du hast doch keine Angst?«
    »Nein, nicht Angst. Aber du darfst heute nicht mit mir kommen. Du hast drei Nächte nicht geschlafen, und du siehst scheußlich aus. Bring mich nach Haus, und dann geh schlafen in dein Hotel! Nimm Veronal, wenn du es brauchst. Du lebst wie ein Selbstmörder.«
    Sie gingen, Teresina im geborgten Mantel eines Kellners, mitten durch Sturm und Blitze und aufheulende Staubwirbel durch die leergefegten Straßen, hell und frohlockend knall ten die prallen Donnerschläge durch die aufgewühlte Nacht, plötzlich brauste Regen los, auf dem Pfl aster zerspritzend, voll und voller mit dem erlösenden Schluchzen wilder Güsse im dicken Sommerlaub.
    Naß und durchschüttelt kamen sie in die Wohnung der Tänzerin, Klein ging nicht nach Hause, es wurde nicht mehr davon gesprochen. Aufatmend traten sie ins Schlafzimmer, taten lachend die durchnäßten Kleider ab, durchs Fenster schrillte grell das Licht der Blitze, in den Akazien wühlte Sturm und Regen sich müde.
    »Wir waren noch nicht wieder in Castiglione«, spot-tete Klein. »Wann gehen wir?«
    »Wir werden wieder gehen, verlaß dich drauf. Hast du Langeweile?«
    Er zog sie an sich, beide fi eberten, und Nachglanz des Ge witters loderte in ihrer Liebkosung. In Stößen kam 502
    durchs Fenster die gekühlte Luft, mit bittrem Geruch von Laub und stumpfem Geruch von Erde. Aus dem
    Liebeskampf fi elen sie beide schnell in Schlummer. Auf dem Kissen lag sein ausge höhltes Gesicht neben ihrem frischen, sein dünnes trockenes Haar neben ihrem vollen blühenden. Vor dem Fenster glühte das Nachtgewit-ter in letzten Flammen auf, wurde müde und erlosch, der Sturm schlief ein, beruhigt rann ein stiller Regen in die Bäume.
    Bald nach ein Uhr erwachte Klein, der keinen längern Schlaf mehr kannte, aus einem schweren schwülen Traumge wirre, mit wüstem Kopf und schmerzenden Augen. Regungs los lag er eine Weile, die Augen aufgerissen, sich besinnend, wo er sei. Es war Nacht, jemand atmete neben ihm, er war bei Teresina.
    Langsam richtete er sich auf. Nun kamen die Qualen wieder, nun war ihm wieder beschieden, Stunde um Stunde zu liegen, Weh und Angst im Herzen, allein, nutzlose Leiden leiden, nutzlose Gedanken denken, nutzlose Sorgen sorgen. Aus dem Alpdrücken, das ihn geweckt hatte, krochen schwere fette Gefühle ihm nach, Ekel und Grauen, Übersät tigung, Selbstver-achtung.
    Er tastete nach dem Licht und drehte an. Die kühle Hellig keit fl oß übers weiße Kissen, über die Stühle voll Kleider, schwarz hing das Fensterloch in der schmalen Wand. Über Teresinas abgewandtes Gesicht fi el Schatten, ihr Nacken und Haar glänzten hell.

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    So hatte er einst auch seine Frau zuweilen liegen sehen, auch neben ihr war er zuzeiten schlafl os gelegen, ihren Schlummer beneidend, von ihrem satten zufrie-denen Atem holen wie verhöhnt. Nie, niemals war man von seinem Näch sten so ganz und gar, so vollkommen verlassen, als wenn er schlief! Und wieder, wie schon oft, fi el ihm das Bild des lei denden Jesus ein, im Garten Gethsemane, wo die Todesangst ihn ersticken will, seine Jünger aber schlafen, schlafen.
    Leise zog er das Kissen mehr zu sich herüber, samt dem schlafenden Kopf Teresinas. Nun sah er ihr Gesicht, im Schlaf so fremd, so ganz bei sich selbst, so ganz von ihm ab
    gewandt. Eine Schulter und Brust
    lagen bloß, unter dem Leintuch wölbte sich sanft ihr Leib bei jedem Atemzug. Ko misch, fi el ihm ein, wie man in Liebesworten, in Gedichten, in Liebesbriefen immer und immer von den süßen Lippen und Wangen sprach, und nie von Bauch und Bein! Schwin del!
    Schwindel! Er betrachtete Teresina lang. Mit diesem schönen Leib, mit dieser Brust und diesen weißen, gesunden, starken, gepfl egten Armen und Beinen würde sie ihn noch oft verlocken und ihn umschlingen und Lust von ihm neh men und dann ruhen und schlafen, satt und tief, ohne Schmerzen, ohne Angst, ohne Ahnung, schön und stumpf und dumm wie ein gesun-
    des schlafendes Tier. Und er würde neben ihr liegen, schlafl os, mit fl ackernden Nerven, das Herz voll Pein.
    Noch oft? Noch oft? Ach nein, nicht oft mehr, nicht 504
    viele Male mehr, vielleicht keinmal mehr! Er zuckte zusammen. Nein, er wußte es: keinmal mehr!
    Stöhnend bohrte er den Daumen in seine Augen-
    höhle, wo zwischen Auge und Stirn diese teufl ischen Schmerzen saßen. Gewiß hatte auch Wagner diese
    Schmerzen gehabt, der Lehrer Wagner. Er hatte sie gehabt, diese

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