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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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zurückzuziehen und schielte großäugig und mit off enem Munde auf seinen sprechenden Freund hinüber. Da brach Paul, der einem plötzlichen Lachreiz nicht widerstehen konnte, in ein mühsam gedämpftes Kichern aus.
    Herr Abderegg fand im Drang der Rede nur Zeit zu einem eiligen Zornblick. Der Kandidat bezog das Lachen auf sich und biß auf die Unterlippe. Berta lachte mitgerissen ohne weiteren Grund plötzlich auch. Sie war so froh, daß Paul diese Jungenhaftigkeit passierte.
    Er war also wenigstens kei ner von den Tadellosen.
    »Was freut Sie denn so?« fragte Fräulein Th
    usnelde.
    »Oh, eigentlich gar nichts.«
    »Und dich, Berta?«
    »Auch nichts. Ich lache nur so mit.«
    »Darf ich Ihnen noch einschenken?« fragte Herr
    Hom burger mit gepreßtem Ton.
    »Danke, nein.«
    »Aber mir, bitte«, sagte die Tante freundlich, ließ jedoch den Wein alsdann ungetrunken stehen.
    Man hatte abgetragen, und es wurden Kaff ee, Kognak und Zigarren gebracht.
    Paul wurde von Fräulein Th
    usnelde gefragt, ob er
    auch rauche.
    »Nein«, sagte er, »es schmeckt mir gar nicht.«

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    Dann fügte er, nach einer Pause, plötzlich ehrlich hinzu: »Ich darf auch noch nicht.«
    Als er das sagte, lächelte Fräulein Th
    usnelde ihm
    schel misch zu, wobei sie den Kopf etwas auf die Seite neigte. In diesem Augenblick erschien sie dem Knaben charmant, und er bereute den vorher auf sie geworfenen Haß.
    Sie konnte doch sehr nett sein.
    Der Abend war so warm und einladend, daß man
    noch um elf Uhr unter den leise fl ackernden Windlich-tern im Garten draußen saß. Und daß die Gäste sich von der Reise müde ge fühlt hatten und eigentlich früh zu Bett hatten gehen wollen, daran dachte jetzt niemand mehr.
    Die warme Luft wogte in leichter Schwüle ungleich und träumend hin und wider, der Himmel war ganz in der Höhe sternklar und feuchtglänzend, gegen die Berge hin tief schwarz und goldig vom fi ebernden Geäder des Wetter leuchtens überspannt. Die Gebüsche dufteten süß und schwer, und der weiße Jasmin schimmerte mit unsicheren Lichtern fahl aus der Finsternis.
    »Sie glauben also, diese Reform unserer Kultur werde nicht aus dem Volksbewußtsein kommen, sondern von ei nem oder einigen genialen Einzelnen?«
    Der Professor legte eine gewisse Nachsicht in den Ton sei ner Frage. »Ich denke es mir so –« erwiderte etwas steif der Hauslehrer und begann eine lange Rede, welcher außer dem Professor niemand zuhörte.

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    Herr Abderegg scherzte mit der kleinen Berta, welcher die Tante Beistand leistete. Er lag voll Behagen im Stuhl zurück und trank Weißwein mit Sauerwasser.
    »Sie haben den ›Ekkehard‹ also auch gelesen?« fragte Paul das Fräulein Th
    usnelde.
    Sie lag in einem sehr niedriggestellten Klappstuhl, hatte den Kopf ganz zurückgelegt und sah geradeaus in die Höhe.
    »Jawohl«, sagte sie. »Eigentlich sollte man Ihnen solche Bücher noch verbieten.«
    »So? Warum denn?«
    »Weil Sie ja doch noch nicht alles verstehen können.«
    »Glauben Sie?«
    »Natürlich.«
    »Es gibt aber Stellen darin, die ich vielleicht besser als Sie verstanden habe.«
    »Wirklich? Welche denn?«
    »Die lateinischen.«
    »Was Sie für Witze machen!«
    Paul war sehr munter. Er hatte zu Abend etwas Wein zu trinken bekommen, nun fand er es köstlich, in die weiche, dunkle Nacht hineinzureden, und wartete neugierig, ob es ihm gelänge, die elegante Dame ein wenig aus ihrer trägen Ruhe zu bringen, zu einem heftigeren Widerspruch oder zu einem Gelächter. Aber sie schaute nicht zu ihm herüber. Sie lag unbeweglich, das Gesicht nach oben, eine Hand auf dem Stuhl, die andre bis zur 65
    Erde herabhängend. Ihr weißer Hals und ihr weißes Gesicht hoben sich matt schimmernd von den schwarzen Bäumen ab.
    »Was hat Ihnen denn im ›Ekkehard‹ am besten gefallen?« fragte sie jetzt, wieder ohne ihn anzusehen.
    »Der Rausch des Herrn Spazzo.«
    »Ach?«
    »Nein, wie die alte Waldfrau vertrieben wird.«
    »So?«
    »Oder vielleicht hat mir doch das am besten gefallen, wie die Praxedis ihn aus dem Kerker entwischen läßt.
    Das ist fein.«
    »Ja, das ist fein. Wie war es nur?«
    »Wie sie nachher Asche hinschüttet –«
    »Ach ja. Ja, ich weiß.«
    »Aber jetzt müssen Sie mir auch sagen, was Ihnen am be sten gefällt.«
    »Im ›Ekkehard‹?«
    »Ja, natürlich.«
    »Dieselbe Stelle. Wo Praxedis dem Mönch davon-
    hilft. Wie sie ihm da noch einen Kuß mitgibt und dann lächelt und ins Schloß zurückgeht.«
    »Ja – ja«, sagte Paul langsam, aber er

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