Meistererzählungen
gelegent lich so heimtückische Fremdwör-59
ter geben und auch solche herablassende Fragen, etwa nach dem Namen einer Feld blume, und dann, wenn sie ihn nicht wußte, so ein unver schämtes Lächeln, und so weiter. Sie kannte das von ihren zwei Vettern, von denen einer Student und der andere Gym nasiast war, und der Gymnasiast war eher der schlimmere, einmal bubenhaft ungezogen und ein andermal von jener unausstehlich höhnischen Kavalierhöfl ichkeit, vor der sie so Angst hatte. Eins wenigstens hatte Berta gelernt, und sie hatte beschlossen, sich auch jetzt auf alle Fälle daran zu hal ten: weinen durfte sie nicht, unter keinen Um-ständen. Nicht weinen und nicht zornig werden, sonst war sie unterlegen. Und das wollte sie hier um keinen Preis. Es fi el ihr tröstlich ein, daß für alle Fälle auch noch eine Tante da sein würde; an die wollte sie sich dann um Schutz wenden, falls es nötig wer den sollte.
»Paul, bist du stumm?« rief Herr Abderegg plötzlich.
»Nein, Papa. Warum?«
»Weil du vergißt, daß du nicht allein im Wagen sitzt.
Du könntest dich der Berta schon etwas freundlicher zeigen.«
Paul seufzte unhörbar. Also nun fi ng es an.
»Sehen Sie, Fräulein Berta, dort hinten ist dann unser Haus.«
»Aber Kinder, ihr werdet doch nicht Sie zueinander sa gen!«
»Ich weiß nicht, Papa – ich glaube doch.« »Na, dann 60
weiter! Ist aber recht überfl üssig.« Berta war rot geworden, und kaum sah es Paul, so ging es ihm nicht anders.
Die Unterhaltung zwischen ihnen war schon wieder zu Ende, und beide waren froh, daß die Alten es nicht merkten. Es wurde ihnen unbehaglich, und sie atme ten auf, als der Wagen mit plötzlichem Krachen auf den Kiesweg einbog und am Hause vorfuhr.
»Bitte, Fräulein«, sagte Paul und half Berta beim Ausstei gen. Damit war er der Sorge um sie fürs erste entledigt, denn im Tor stand schon die Tante, und es schien, als lächle das ganze Haus, öff ne sich und forde-re zum Eintritt auf, so gast lich froh und herzlich nickte sie und streckte die Hand ent gegen und empfi ng eins um das andere und dann jedes noch ein zweites Mal.
Die Gäste wurden in ihre Stuben begleitet und gebeten, recht bald und recht hungrig zu Tische zu kom men.
Auf der weißen Tafel standen zwei große Blumen-
sträuße und dufteten in die Speisengerüche hinein.
Herr Abderegg tranchierte den Braten, die Tante visier-te scharfäugig Teller und Schüsseln. Der Professor saß wohlgemut und festlich im Gehrock am Ehrenplatz, warf der Tante sanfte Blicke zu und störte den eifrig arbeitenden Hausherrn durch zahllose Fra gen und Witze. Fräulein Th
usnelde half zierlich und lä chelnd beim Herum-
bieten der Teller und kam sich zuwenig beschäftigt vor, da ihr Nachbar, der Kandidat, zwar wenig aß, aber noch weniger redete. Die Gegenwart eines altmodi schen Professors und zweier junger Damen wirkte verstei nernd 61
auf ihn. Er war im Angstgefühl seiner jungen Würde beständig auf irgendwelche Angriff e, ja Beleidigungen ge faßt, welche er zum voraus durch eiskalte Blicke und ange strengtes Schweigen abzuwehren bemüht war.
Berta saß neben der Tante und fühlte sich geborgen.
Paul widmete sich mit Anstrengung dem Essen, um nicht in Ge spräche verwickelt zu werden, vergaß sich darüber und ließ es sich wirklich besser schmecken als alle anderen.
Gegen das Ende der Mahlzeit hatte der Hausherr
nach hitzigem Kampfe mit seinem Freunde das Wort an sich geris sen und ließ es sich nicht wieder nehmen. Der besiegte Pro fessor fand nun erst Zeit zum Essen und holte maßvoll nach.
Herr Homburger merkte endlich, daß niemand An-
griff e auf ihn richtete, sah aber nun zu spät, daß sein Schweigen unfein gewesen war, und glaubte sich von seiner Nachbarin höh
nisch betrachtet zu wissen. Er
senkte deshalb den Kopf so weit, daß eine leichte Falte unterm Kinn entstand, zog die Augenbrauen hoch und schien Probleme im Kopf zu wäl zen.
Fräulein Th
usnelde begann, da der Hauslehrer ver-
sagte, ein sehr zärtliches Geplauder mit Berta, an welchem die Tante sich beteiligte.
Paul hatte sich inzwischen vollgegessen und legte, indem er sich plötzlich übersatt fühlte, Messer und Gabel nieder. Aufschauend erblickte er zufällig gerade den Professor in ei nem komischen Augenblick: er hat-62
te eben einen stattlichen Bissen zwischen den Zähnen und noch nicht von der Gabel los, als ihn gerade ein Kraftwort in der Rede Abdereggs auf zumerken nötigte.
So vergaß er für Augenblicke die Gabel
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