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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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konnte sich des Kus ses nicht erinnern.
    Des Professors Gespräch mit dem Hauslehrer war zu Ende gegangen. Herr Abderegg steckte sich eine Virginia an, und Berta sah neugierig zu, wie er die Spitze der langen Zi garre über der Kerzenfl amme verkohlen ließ.

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    Das Mädchen hielt die neben ihr sitzende Tante mit dem rechten Arm umschlungen und hörte großäugig den fabelhaften Erlebnissen zu, von denen der alte Herr ihr erzählte. Es war von Reise abenteuern, namentlich in Neapel, die Rede.
    »Ist das wirklich wahr?« wagte sie einmal zu fragen.
    Herr Abderegg lachte.
    »Das kommt allein auf Sie an, kleines Fräulein. Wahr ist an einer Geschichte immer nur das, was der Zuhörer glaubt.«
    »Aber nein?! Da muß ich Papa drüber fragen.«
    »Tun Sie das!«
    Die Tante streichelte Bertas Hand, die ihre Taille um-fi ng.
    »Es ist ja Scherz, Kind.«
    Sie hörte dem Geplauder zu, wehrte die taumelnden Nachtmotten von ihres Bruders Weinglas ab und gab jedem, der sie etwa anschaute, einen gütigen Blick zu-rück. Sie hatte ihre Freude an den alten Herren, an Berta und dem lebhaft schwatzenden Paul, an der schönen Th
    usnelde, die aus der Gesellschaft heraus in die Nachtbläue schaute, am Hausleh rer, der seine klugen Reden nachgenoß. Sie war noch jung genug und hatte nicht vergessen, wie es der Jugend in solchen Gartensommer-nächten warm und wohl sein kann. Wieviel Schicksal noch auf alle diese schönen Jungen und klugen Al ten wartete! Auch auf den Hauslehrer.
    Wie jedem sein Leben und seine Gedanken und Wün-67
    sche so wichtig waren! Und wie schön Fräulein Th usnelde aus sah! Eine wirkliche Schönheit.
    Die gütige Dame streichelte Bertas rechte Hand, lä-
    chelte dem etwas vereinsamten Kandidaten liebreich zu und fühlte von Zeit zu Zeit hinter dem Stuhl des Hausherrn, ob auch seine Weinfl asche noch im Eise stehe.
    »Erzählen Sie mir etwas aus Ihrer Schule!« sagte Th usnelde zu Paul.
    »Ach, die Schule! Jetzt sind doch Ferien.«
    »Gehen Sie denn nicht gern ins Gymnasium?«
    »Kennen Sie jemand, der gern hingeht?«
    »Sie wollen aber doch studieren?«
    »Nun ja. Ich will schon.«
    »Aber was möchten Sie noch lieber?«
    »Noch lieber? – Haha –. Noch lieber möchte ich Seeräuber werden.«
    »Seeräuber?«
    »Jawohl, Seeräuber. Pirat.«
    »Dann könnten Sie aber nimmer soviel lesen.«
    »Das wäre auch nicht nötig. Ich würde mir schon die Zeit vertreiben.«
    »Glauben Sie?«
    »O gewiß. Ich würde –«
    »Nun?«
    »Ich würde – ach, das kann man gar nicht sagen.«
    »Dann sagen Sie es eben nicht.«
    Es wurde ihm langweilig. Er rückte zu Berta hinüber 68
    und half ihr zuhören. Papa war ungemein lustig. Er sprach jetzt ganz allein, und alles hörte zu und lachte.
    Da stand Fräulein Th
    usnelde in ihrem losen, feinen
    engli schen Kleide langsam auf und trat an den Tisch.
    »Ich möchte gute Nacht sagen.«
    Nun brachen alle auf, sahen auf die Uhr und konnten nicht begreifen, daß es wirklich schon Mitternacht sei.
    Auf dem kurzen Weg bis zum Hause ging Paul neben Berta, die ihm plötzlich sehr gut gefi el, namentlich seit er sie über Papas Witze so herzlich hatte lachen hören.
    Er war ein Esel gewesen, sich über den Besuch zu ärgern. Es war doch fein, so des Abends mit Mädchen zu plaudern.
    Er fühlte sich als Kavalier und begann zu bedauern, daß er sich den ganzen Abend nur um die andere ge-kümmert hatte. Die war doch wohl ein Fratz. Berta war ihm viel lieber, und es tat ihm leid, daß er sich heute nicht zu ihr gehalten hatte. Und er versuchte ihr das zu sagen. Sie kicherte.
    »Oh, Ihr Papa war so unterhaltend! Es war reizend.«
    Er schlug ihr für morgen einen Spaziergang auf den Ei chelberg vor. Es sei nicht weit und so schön. Er kam ins Be schreiben, sprach vom Weg und von der Aussicht und redete sich ganz in Feuer.
    Da ging gerade Fräulein Th
    usnelde an ihnen vorüber,
    während er im eifrigsten Reden war. Sie wandte sich ein we nig um und sah ihm ins Gesicht. Es geschah ruhig und etwas neugierig, aber er fand es spöttisch und ver-69
    stummte plötz lich. Berta blickte erstaunt auf und sah ihn verdrießlich wer den, ohne zu wissen, warum.
    Da war man schon im Hause. Berta gab Paul die
    Hand. Er sagte gute Nacht. Sie nickte und ging.
    Th
    usnelde war vorausgegangen, ohne ihm gute Nacht zu sagen. Er sah sie mit einer Handlampe die Treppe hinaufge hen, und indem er ihr nachschaute, ärgerte er sich über sie.
    Paul lag wach im Bette und verfi el dem feinen Fieber der warmen Nacht. Die

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