Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Plaudern, von dem ich heute kein Wort mehr weiß.
    Wohl aber weiß ich noch, wie ihre Stimme klang; sie klang rein, vogelleicht und dennoch warm, und ihr Lachen ruhig und fest. Ihr Schritt nahm meinen gleichmä-
    ßig mit, ich bin nie so froh und schwebend gegangen, und die schlafende Stadt mit Palästen, Toren, Gärten und Denkmälern glitt still und schattenhaft an uns vor-
    über.
    Es begegnete uns ein alter Mann in schlechten Kleidern, der nicht mehr gut zu Fuß war. Er wollte uns aus-weichen, doch nahmen wir das nicht an, sondern machten ihm zu bei den Seiten Platz, und er drehte sich langsam um und blickte uns nach. ›Ja, schau du nur!‹ sagte ich, und das blonde Mäd chen lachte vergnügt.
    Von hohen Türmen schollen Stundenschläge, fl ogen klar und frohlockend im frischen Winterwind über die Stadt und vermischten sich fern in den Lüften zu einem verhallenden Brausen. Ein Wagen fuhr über einen Platz, die Hufschläge tönten klappernd auf dem Pfl aster, die Räder aber hörte man nicht, sie liefen auf Gummirei-fen.
    Neben mir schritt heiter und frisch die schöne junge Ge stalt, die Musik ihres Wesens umschloß auch mich, mein Herz schlug denselben Takt wie ihres, meine Augen sahen alles, was ihre Augen sahen. Sie kannte mich nicht und ich wußte ihren Namen nicht, aber wir wa-106
    ren beide sorgenlos und jung, wir waren Kameraden wie zwei Sterne und wie zwei Wolken, die denselben Weg ziehen, dieselbe Luft atmen und sich ohne Worte wunschlos fühlen. Mein Herz war wie der neunzehn Jahre alt und unversehrt.
    Mir schien, wir beide müßten ohne Ziel und uner-müdet weiter wandern. Mir schien, wir gingen schon unausdenklich lange nebeneinander, und es könnte nie ein Ende nehmen. Die Zeit war ausgelöscht, ob auch die Uhren schlugen.
    Da aber blieb sie unvermutet stehen, lächelte, gab mir die Hand und verschwand in einem Haustor.
    Zweiter Abend
    Ich habe den halben Tag gelesen und meine Augen schmerzen, ohne daß ich weiß, warum ich sie eigentlich so anstrenge. Aber auf irgendeine Art muß ich die Zeit doch hinbringen. Jetzt ist es wieder Abend, und indem ich über lese, was ich gestern schrieb, richtet sich jene vergangene Zeit wieder auf, blaß und entrückt, aber doch erkennbar. Ich sehe Tage und Wochen, Ereignisse und Wünsche, Gedachtes und Erlebtes schön verknüpft und in sinnvoller Folge aneinan dergereiht, ein richtiges Leben mit Kontinuität und Rhythmus, mit Interessen und Zielen, und mit der wunder baren Berechtigung und Selbstverständlichkeit eines ge wöhnlichen, gesunden Lebens, was alles mir seither so völlig abhanden ge-107
    kommen ist. Also ich war, am Tage nach jenem schönen Abendgang mit dem fremden Mädchen, abgereist und in meine Heimat gefahren. Ich saß fast ganz allein im Wagen und freute mich über den guten Schnellzug und über die fernen Alpen, die eine Zeitlang klar und glänzend zu se hen waren. In Kempten aß ich am Büfett eine Wurst und unterhielt mich mit dem Schaff ner, dem ich eine Zigarre kaufte. Später wurde das Wetter trüb und den Bodensee sah ich grau und groß wie ein Meer im Nebel und leisem Schneegeriesel liegen.
    Zu Hause in demselben Zimmer, in dem ich auch
    jetzt sitze, machte ich mir ein gutes Feuer in den Ofen und ging mit Eifer an meine Arbeit. Es kamen Briefe und Bücherpa kete und gaben mir zu tun, und einmal in der Woche fuhr ich ins Städtchen hinüber, machte meine paar Einkäufe, trank ein Glas Wein und spielte eine Partie Billard.
    Dabei merkte ich doch allmählich, daß die freudi-ge Mun terkeit und zufriedene Lebenslust, mit der ich noch kürzlich in München umhergegangen war, sich anschickte zur Neige zu gehen und durch irgendeinen kleinen, dummen Riß zu entrinnen, so daß ich langsam in einen minder hellen, träu merischen Zustand hinein-geriet. Im Anfang dachte ich, es werde ein kleines Unwohlsein sich ausbrüten, darum fuhr ich in die Stadt und nahm ein Dampfbad, das jedoch nichts hel fen wollte.
    Ich sah auch bald ein, daß dieses Übel nicht in den Knochen und im Blut steckte. Denn ich begann jetzt, ganz 108
    wider oder doch ohne meinen Willen, zu allen Stunden des Tages mit einer gewissen hartnäckigen Begierde an Mün chen zu denken, als ob ich in dieser angenehmen Stadt etwas Wesentliches verloren hätte. Und ganz allmählich nahm die ses Wesentliche für mein Bewußtsein Gestalt an, und es war die liebliche schlanke Gestalt der neunzehnjährigen Blon den. Ich merkte, daß ihr Bildnis und jener dankbar frohe abendliche Gang an ihrer

Weitere Kostenlose Bücher