Meistererzählungen
gen zu sehen.
Während des Abendessens und nachher beim Mo-
selwein ward ich in die Herrengespräche hineingezogen, und wenn auch von anderen Dingen die Rede war als bei meinem letz ten Hiersein, schien mir das Gespräch doch wie eine Fortset zung des damaligen, und ich nahm mit einer kleinen Genug tuung wahr, daß diese lebhaften und verwöhnten Stadtleute doch auch trotz aller Augenlust und Neuigkeiten einen ge wissen Zirkel haben, in dem ihr Geist und Leben sich bewegt, und daß bei allem Vielerlei und Wechsel doch auch hier der Zirkel unerbittlich und verhältnismäßig eng ist.
Obschon mir in ihrer Mitte recht wohl war, fühlte ich mich doch durch meine lange Abwesenheit im Grunde um nichts betrogen und konnte die Vorstellung nicht ganz unterdrücken, diese Herr schaften seien alle noch von damals her sitzen geblieben und redeten noch am selben Gespräch von damals fort. Dieser Gedanke war natürlich ungerecht und kam nur davon her, daß meine 112
Aufmerksamkeit und Teilnahme diesmal häufi g von der Unterhaltung abwich.
Ich wandte mich auch, sobald ich konnte, dem Nebenzimmer zu, wo die Damen und jungen Leute ihre Unterhaltung hatten. Es entging mir nicht, daß die jungen Künstler von der Schönheit des Fräuleins stark angezogen wurden und mit ihr teils kameradschaftlich, teils ehrerbietig umgingen. Nur ei ner, ein Bildnismaler namens Zündel, hielt sich kühl bei den älteren Frauen und schaute uns Schwärmern mit einer gut
mütigen
Verachtung zu. Er sprach lässig und mehr horchend als redend mit einer schönen braunäugigen Frau, von der ich gehört hatte, sie stehe im Ruf großer Gefährlichkeit und vie ler gehabter oder noch schwebender Liebes-abenteuer.
Doch nahm ich alles das nur nebenbei mit halben Sinnen wahr. Das Mädchen nahm mich ganz in Anspruch, doch ohne daß ich mich ins allgemeine Gespräch mischte. Ich fühlte, wie sie in einer lieblichen Musik befangen lebte und sich bewegte, und der milde, innige Reiz ihres Wesens umgab mich so dicht und süß und stark wie der Duft einer Blume. So wohl mir das jedoch tat, so konnte ich doch unzweifelhaft spüren, daß ihr Anblick mich nicht stillen und sättigen könne und daß mein Leiden, wenn ich jetzt wieder von ihr getrennt würde, noch weit quälender werden müsse. Mir schien in ih rer zierlichen Person mein eigenes Glück und der blühende Frühling meines Lebens mich anzublicken, daß ich ihn fasse 113
und an mich nehme, der sonst nie wieder käme. Es war nicht eine Begierde des Blutes nach Küssen und nach einer Liebes nacht, wie es manche schöne Frau schon für Stunden in mir erweckt und mich damit erhitzt und ge-quält hatte. Vielmehr war es ein frohes Vertrauen, daß in dieser lieben Gestalt mein Glück mir begegnen wolle, daß ihre Seele mir verwandt und freundlich und mein Glück auch ihres sein müsse.
Darum beschloß ich, ihr nahe zu bleiben und zur rechten Stunde meine Frage an sie zu tun.
Dritter Abend
Es soll nun einmal erzählt sein, also weiter!
Ich hatte nun in München eine schöne Zeit. Meine Woh nung lag nicht weit vom Englischen Garten, den suchte ich jeden Morgen auf. Auch in die Bildersäle ging ich häufi g, und wenn ich etwas besonders Herrliches sah, war es immer wie ein Zusammentreff en der äußeren Welt mit dem seligen Bilde, das ich in mir be-wahrte.
Eines Abends trat ich in ein kleines Antiquariat, um mir et was zum Lesen zu kaufen. Ich stöberte in staubigen Regalen und fand eine schöne, zierlich eingebundene Ausgabe des Herodot, die ich erwarb. Darüber kam ich mit dem Gehilfen, der mich bediente, in ein Gespräch. Es war ein auff allend freundlicher, still höf-licher Mann mit einem bescheidenen, doch heimlich durchleuchteten Gesicht, und in seinem gan zen Wesen 114
lag eine sanfte, friedliche Güte, die man sofort spürte und auch aus seinen Zügen und Gebärden lesen konnte.
Er zeigte sich belesen, und da er mir so gut gefi el, kam ich mehrmals wieder, um etwas zu kaufen und mich eine Viertelstunde mit ihm zu unterhalten. Ohne daß er derglei chen gesagt hätte, hatte ich von ihm den Eindruck eines Mannes, der die Finsternis und Stürme des Lebens vergessen oder überwunden habe und ein friedvolles und gutes Leben führe.
Nachdem ich den Tag in der Stadt bei Freunden oder in Sammlungen hingebracht, saß ich abends vor dem Schlafen gehen stets noch eine Stunde in meinem Miet-zimmer, in die Wolldecke gehüllt, las im Herodot oder ließ meine Gedan ken hinter dem schönen Mädchen hergehen, dessen
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