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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hübsch …
    Nach dem Abendessen spazierte ich, umgekleidet
    und fein rasiert, ohne Eile den Weg nach dem Hotel der Deutschen hinaus, eine schöne gelbe Nelke im Knopf-loch und die erste italienische Zigarette im Munde.
    Der Speisesaal war leer, alle Gäste aßen oder spazier-ten hinterm Hause im Garten, wo vom Tage her noch die gro ßen, rot und weiß gestreiften Sonnenzelte stan-246
    den. Auf einer kleinen Terrasse am See standen Jünglinge mit Angelruten, an einzelnen Tischen wurde Kaff ee getrunken. Die Schön heit samt Gatte und Onkel wandelte durch den Garten, war off enbar zum erstenmal im Süden und betastete die ledernen Blätter einer Kamelie mit backfi schhaftem Erstaunen.
    Hinter ihr aber sah ich, und nun erstaunte ich selbst nicht weniger, meinen Freund Othmar mit lässigen Schritten lust wandeln. Ich zog mich zurück und fragte den Portier; der Herr wohnte hier im Hause. Er mußte hinter mir heimlich ausgestiegen sein. Ich war betrogen.
    Die Sache war mir jedoch mehr lächerlich als schmerzhaft; meine Bezauberung war dahingewelkt. An eine junge Trau auf der Hochzeitsreise knüpft man keine Hoff nungen. Ich überließ Othmar das Feld und wurde fl üchtig, ehe er mich hatte bemerken können. Von drau-
    ßen sah ich ihn noch einmal durch den Zaun, wie er eben an den Fremden vorbeifl anierte und die Frau mit seinen Augen anblitzte. Auch ihr Gesicht sah ich nochmals für einen Augenblick, aber meine verliebte Laune war verfl ogen, und die hübschen Züge schie nen mir etwas von ihrem Reiz verloren zu haben und ein we nig leer und unbedeutend zu sein.
    Am nächsten Morgen, als ich den guten Frühzug
    nach Mailand bestieg, war Othmar auch schon da. Er nahm dem Portier die Handtasche ab und stieg hinter mir ein, als wäre alles in Ordnung.

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    »Guten Morgen«, sagte er ruhig.
    »Guten Morgen«, gab ich Antwort. »Hast du schon gese hen? Heut abend wird in der Scala die Aida gegeben.«
    »Ja, ich weiß schon. Großartig!«
    Der Zug fi ng an zu rollen, und das Städtchen glitt hinter uns weg.
    »Übrigens«, begann ich das Gespräch, »diese schö-
    ne Refe rendarsfrau hat doch etwas Puppenhaftes. Ich war schließ lich enttäuscht. Sie ist doch nicht eigentlich schön. Nur hübsch.«
    Othmar nickte.
    »Er ist nicht Referendar«, sagte er, »er ist Kaufmann, aber allerdings Reserveleutnant. – Ja, du hast recht. Die Frau ist ein Fratz. Ich bin ganz erschrocken, als ich es plötzlich ent deckte. Hast du denn nicht gesehen, sie hat den ärgsten Feh ler, den ein schönes Gesicht haben kann!
    Nicht? Sie hat einen viel zu kleinen Mund, die Person!
    Es ist scheußlich, darauf pfl ege ich sonst unfehlbar zu reagieren.«
    »Ein bißchen kokett scheint sie auch«, probierte ich wie der.
    »Kokett? Und ob! Ich kann dir sagen, der fi dele Onkel ist wirklich der einzige nette Kerl von allen dreien.
    Weißt du, gestern hab’ ich sie dem kleinen Aff en einfach nicht gegönnt. Und jetzt tut er mir leid, direkt leid. Der kann sich noch wundern! Aber vielleicht wird der Kerl glücklich mit ihr. Vielleicht merkt er’s nie.«

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    »Was denn?«
    »Daß sie bloß eine Attrappe ist! Nichts als eine hübsche Maske, fein im Lack, und nichts dahinter, gar nichts.«
    »Oh, für dumm halte ich sie nicht gerade.«
    »Nicht? Dann steig wieder aus und fahre nach Como, sie bleiben acht Tage dort. Ich habe leider mit ihr gesprochen.
    Na, reden wir nimmer davon! Es ist gut, daß wir nach Italien hineinkommen! Da lernt man wieder, die Schönheit als et was Selbstverständliches anzusehen.«
    Es war wirklich gut, und zwei Stunden später strichen wir zufrieden und müßig durch Mailand und sahen mit Genuß und ohne alle Eifersucht die schönen Frauen dieser gesegne ten Stadt wie Königinnen an uns vorüberschreiten.
    (1913)
    Wenn der Krieg noch zwei Jahre dauert
    Seit meiner Jugend hatte ich die Gewohnheit, von Zeit zu Zeit zu verschwinden und zur Erfrischung in andere Welten unterzutauchen; man pfl egte mich dann zu suchen und nach einiger Zeit als vermißt auszuschreiben, und wenn ich schließlich wiederkam, so war es mir stets ein Vergnügen, die Urteile der sogenannten Wissenschaft über mich und meine ›Abwesenheits‹- oder Dämmerzu-stände anzuhören. Wäh rend ich nichts anderes tat als das, was meiner Natur selbst verständlich war und was früher oder später die meisten Menschen werden tun können, wurde ich von diesen seltsa men Menschen für eine Art Phänomen angesehen, von den einen als Besessener, von den andern als ein

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