Meistererzählungen
daß meine Lage nur immer 256
schwieriger werden muß. – Ginge es nicht an, daß Sie mich zum Tode verur teilen? Ich wäre sehr dankbar da-für!«
Milde sah der hohe Beamte mir in die Augen.
»Ich begreife«, sagte er sanft. »Aber so könnte schließlich jeder kommen! Auf alle Fälle müßten Sie vorher eine Sterbe karte lösen. Haben Sie Geld dafür?
Sie kostet viertausend Gulden.«
»Nein, so viel habe ich nicht. Aber ich würde alles geben, was ich habe. Ich habe großes Verlangen danach zu ster ben.«
Er lächelte sonderbar.
»Das glaube ich gerne, da sind Sie nicht der einzige.
Aber so einfach geht das mit dem Sterben nicht. Sie ge-hören einem Staate an, lieber Mann, und sind diesem Staate verpfl ichtet, mit Leib und Leben. Das dürfte Ihnen doch bekannt sein.
Übrigens – ich sehe da eben, daß Sie als Sinclair, Emil, einge tragen sind. Sind Sie vielleicht der Schriftsteller Sinclair?«
»Gewiß, der bin ich.«
»Oh, das freut mich sehr. Ich hoff e, Ihnen gefällig sein zu können. Schutzmann, Sie können inzwischen abtreten.«
Der Schutzmann ging hinaus, der Beamte bot mir
die Hand. »Ich habe Ihre Bücher mit viel Interesse gelesen«, sagte er verbindlich, »und will Ihnen gern nach Möglichkeit behilfl ich sein. – Aber sagen Sie mir doch, 257
lieber Gott, wie Sie in diese unglaubliche Lage geraten konnten?«
»Ja, ich war eben eine Zeitlang weg. Ich fl üchtete mich für einige Zeit ins Kosmische, es mögen so zwei, drei Jahre ge wesen sein, und off en gestanden hatte ich so halb und halb angenommen, der Krieg würde inzwischen sein Ende gefun den haben. – Aber sagen Sie, können Sie mir eine Sterbekarte verschaff en? Ich wäre Ihnen fabelhaft dankbar.«
»Es wird vielleicht gehen. Vorher müssen Sie aber eine Existenzbewilligung haben. Ohne sie wäre natürlich jeder Schritt aussichtslos. Ich gebe Ihnen eine Empfehlung an das Amt 127 mit, da werden Sie auf meine Bürgschaft hin wenig stens eine provisorische Existenz-karte bekommen. Sie gilt al lerdings nur zwei Tage.«
»Oh, das ist mehr als genug!«
»Nun gut! Kommen Sie dann, bitte, zu mir zurück.«
Ich drückte ihm die Hand. »Noch eines!« sagte ich leise. »Darf ich noch eine Frage an Sie stellen? Sie können sich denken, wie schlecht orientiert ich in allem Ak-tuellen bin.«
»Bitte, bitte.«
»Ja, also – vor allem würde es mich interessieren, zu wis sen, wie es möglich ist, daß bei diesen Zuständen das Leben überhaupt noch weitergeht. Hält denn ein Mensch das aus?«
»O ja. Sie sind ja in einer besonders schlimmen Lage, als Zivilperson, und gar ohne Papiere! Es gibt sehr we-258
nig Zivil personen mehr. Wer nicht Soldat ist, der ist Beamter. Schon damit wird für die meisten das Leben viel erträglicher, viele sind sogar sehr glücklich. Und an die Entbehrungen hat man sich eben so allmählich ge-wöhnt. Als das mit den Kartoff eln allmählich aufhörte und man sich an den Holzbrei ge wöhnen mußte – er wird jetzt leicht geteert und dadurch recht schmackhaft
–, da dachte jeder, es sei nicht mehr auszuhalten. Und jetzt geht es eben doch. Und so ist es mit allem.«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Es ist eigentlich weiter nicht er staunlich. Nur eins begreife ich nicht ganz. Sagen Sie mir: wozu eigentlich macht nun die ganze Welt diese riesigen An
strengungen? Diese Entbehrungen,
diese Gesetze, diese tau send Amter und Beamte – was ist es eigentlich, was man da mit beschützt und aufrecht-erhält?«
Erstaunt sah der Herr mir ins Gesicht.
»Ist das eine Frage!« rief er mit Kopf schütteln. »Sie wissen doch, daß Krieg ist, Krieg in der ganzen Welt!
Und das ist es, was wir erhalten, wofür wir Gesetze geben, wofür wir Opfer bringen. Der Krieg ist es. Ohne diese enormen Anstrengun gen und Leistungen könnten die Armeen keine Woche länger im Felde stehen. Sie würden verhungern – es wäre unaussteh lich!«
»Ja«, sagte ich langsam, »das ist allerdings ein Gedanke! Also der Krieg ist das Gut, das mit solchen Opfern aufrecht erhalten wird! Ja, aber – erlauben Sie eine seltsame Frage – warum schätzen Sie den Krieg so hoch?
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Ist er denn das alles wert? Ist denn der Krieg überhaupt ein Gut?«
Mitleidig zuckte der Beamte die Achseln. Er sah, ich ver stand ihn nicht.
»Lieber Herr Sinclair«, sagte er, »Sie sind sehr welt-fremd geworden. Aber bitte, gehen Sie durch eine einzige Straße, reden Sie mit einem einzigen Menschen, strengen Sie Ihre Gedanken nur ein klein wenig an und fragen Sie
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