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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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begann es mei nem Freund Othmar aufzufallen, daß ich ihm zerstreute Ant worten gab, und daß meine Augen seinem eifrig zeigenden Finger nur widerwillig durch die schöne Landschaft folgten. Und kaum hatte er Verdacht geschöpft, so stand er schon auf und schaute suchend durch die Glastür, und als er die schöne Nichtraucherin entdeckt hatte, setzte er sich auf die Lehne seiner Bank und blickte nun gleich-falls mit Eifer dort hin über. Wir sprachen kein Wort, aber Othmars Gesicht war fi nster, als habe ich einen Verrat an ihm begangen. Erst in der Nähe von Lugano 243
    tat er die Frage: »Seit wann ist eigent lich die Gesellschaft dort in unserem Wagen?«
    »Ich glaube, seit Flüelen«, sagte ich, und das war nur inso fern gelogen, als ich mich des Einsteigens jener Herrschaften in Flüelen sehr genau erinnerte.
    Wir schwiegen wieder, und Othmar wendete mir den Rücken. So unbequem es für ihn war, er saß mit verbo-genem Hals und ließ die Schöne nicht aus den Augen.
    »Willst du bis Mailand durchfahren?« fragte er wieder nach einer langen Pause.
    »Ich weiß nicht. Mir ist es einerlei.«
    Je länger wir schwiegen und je länger wir dem schö-
    nen Bilde drüben huldigten, desto mehr kam jeder von uns zweien auf die Überlegung, es sei doch eigentlich lästig, auf Reisen an irgend jemand gebunden zu sein.
    Wohl hatten wir uns volle Freiheit vorbehalten, und es war ausgemacht, daß jeder ohne Rücksicht seinen Ge-lüsten und Stimmungen nachgehen sollte; allein jetzt schien doch eine Art von Zwang und Beschränkung da zu sein. Jeder von uns, wäre er allein gewesen, hätte jetzt seine lange Brissagozigarre zum Fenster hinausgewor-fen, hätte den Schnurrbart gestrichen und sich für eine Weile der besseren Luft wegen zu den Nichtrauchern verzogen. Nun aber tat das keiner, und keiner gönnte dem anderen ein Geständnis, und jeder war heimlich verärgert und nahm es dem anderen übel, daß er dabei-saß und störte. Es wurde schließlich lästig, und da ich mich nach Frieden sehnte, steckte ich meine erloschene 244
    Zigarre wieder an und sagte mit geheucheltem Gähnen:
    »Du, ich steige in Como aus. Das ewige Bahnfahren macht einen ja verrückt.«
    Er lächelte freundlich.
    »Findest du? Ich bin eigentlich noch ganz frisch, bloß der Yvorne macht mich ein bißchen faul, es ist immer die gleiche Geschichte mit diesen Westschweizer Weinen: man trinkt sie wie Wasser, und dabei geht alles in den Kopf. Aber geniere dich nicht! Wir treff en uns ja bestimmt in Mailand wieder.«
    »Ja, natürlich. Fein, daß man wieder einmal in die Brera kommt, und abends in die Scala, ich habe Lust, wieder ein mal einen fl otten Verdi zu hören.«
    Auf einmal plauderten wir wieder und Othmar schien so aufgeräumt, daß ich meinen Entschluß halb wieder bereute und mir heimlich vornahm, in Como zwar aus-zusteigen, aber nur in einen anderen Wagen zu gehen und doch mitzufah ren. Das ging niemand etwas an, und überhaupt …
    Wir hatten Lugano und die Grenze hinter uns und fuhren in Como ein, das alte Nest lag träg in der Abend-sonne, vom Brunateberg grinsten die wahnsinnigen Re-klametafeln herab. Ich gab Othmar die Hand und nahm meinen Ruck sack an mich.
    Seit der Zollstation saßen wir in italienischen Wagen, die Glastür war verschwunden und die schöne Norddeutsche mit, aber wir wußten, daß sie im Zuge sei. Als ich nun aus stieg und unschlüssig über die Schienen stol-245
    perte, sah ich plötzlich den Onkel, die Schöne und den Referendar ebenfalls daherkommen, mit Gepäck beladen und in schlechtem Italienisch nach einem Dienstmann rufend. Alsbald unter stützte ich sie hilfreich, der Dienstmann und sodann eine Droschke wurden aufge-trieben, und die drei fuhren ins Städtchen hinein, wo ich sie bestimmt wiederzufi nden hoff te, denn ich hatte den Namen ihres Hotels verstanden.
    Eben pfi ff der Zug und fuhr aus der Station, und ich winkte hinüber, sah meinen Freund aber nicht mehr am Fen ster. Nun, es geschah ihm recht. Munter wanderte ich nach Como hinein, nahm ein Zimmer, wusch mich und setzte mich dann auf die Piazza hinaus zu einem Vermouth. Große Abenteuer hatte ich nicht im Sinn, doch schien es mir wün schenswert, jene Reisegesell-schaft heute abend noch einmal wiederzusehen. Die beiden waren wirklich ein junges Ehe paar, wie ich auf der Station hatte beobachten können, und mein Interesse für die Gattin des zukünftigen Staatsanwaltes war seitdem wieder ein rein ästhetisches geworden. Immerhin, sie war hübsch, erstaunlich

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