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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Amtsräume, Wartezimmer und Korri dore, in welchen es nach Papier, nach feuchten Kleidern und Amtsluft roch. Nach manchen Fragen wurde ich auf Zimmer 72 d abgeliefert und dort verhört.
    Ein Beamter stand vor mir und musterte mich. »Können Sie nicht strammstehen?« fragte er streng. Ich sagte: »Nein.« Er fragte: »Warum nicht?« »Ich habe es nie gelernt«, sagte ich schüchtern.
    »Also Sie sind dabei festgenommen worden, wie Sie ohne Erlaubnisschein spazierengegangen sind. Geben Sie das zu?«

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    »Ja«, sagte ich, »das stimmt wohl. Ich hatte es nicht ge wußt. Sehen Sie, ich war längere Zeit krank –.«
    Er winkte ab. »Sie werden dadurch bestraft, daß Ihnen für drei Tage das Gehen in Schuhen untersagt wird.
    Ziehen Sie Ihre Schuhe aus!«
    Ich zog meine Schuhe aus.
    »Mensch!« rief der Beamte da entsetzt. »Mensch, Sie tra gen ja Lederschuhe! Woher haben Sie die? Sind Sie denn völ lig verrückt?«
    »Ich bin geistig vielleicht nicht völlig normal, ich kann das selbst nicht genau beurteilen. Die Schuhe habe ich früher einmal gekauft.«
    »Ja, wissen Sie nicht, daß das Tragen von Leder in jedwe der Form den Zivilpersonen streng verboten ist?
    – Ihre Schuhe bleiben hier, die werden beschlagnahmt.
    Zeigen Sie übrigens doch einmal Ihre Ausweispapiere!«
    Lieber Gott, ich hatte keine.
    »Das ist mir doch seit einem Jahr nimmer vorgekommen!« stöhnte der Beamte und rief einen .Schutzmann herein. »Bringen Sie den Mann ins Amt 194, Zimmer 8!«
    Barfuß wurde ich durch einige Straßen getrieben, dann traten wir wieder in ein Amtshaus, gingen durch Korridore, atmeten den Geruch von Papier und Hoff -
    nungslosigkeit, dann wurde ich in ein Zimmer gestoßen und von einem an dern Beamten verhört. Dieser trug Uniform.

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    »Sie sind ohne Ausweispapiere auf der Straße betrof-fen worden. Sie bezahlen zweitausend Gulden Buße. Ich schreibe sofort die Quittung.«
    »Um Vergebung«, sagte ich zaghaft, »so viel habe ich nicht bei mir. Können Sie mich nicht statt dessen einige Zeit ein sperren ?«
    Er lachte hell auf.
    »Einsperren? Lieber Mann, wie denken Sie sich das?
    Glauben Sie, wir hätten Lust, Sie auch noch zu füttern?
    – Nein, mein Guter, wenn Sie die Kleinigkeit nicht bezahlen können, bleibt Ihnen die härteste Strafe nicht erspart. Ich muß Sie zum provisorischen Entzug der Existenzbewilligung verurteilen! Bitte geben Sie mir Ihre Existenzbewilligungs karte !«
    Ich hatte keine.
    Der Beamte war nun ganz sprachlos. Er rief zwei Kollegen herein, fl üsterte lang mit ihnen, deutete mehrmals auf mich, und alle sahen mich mit Furcht und tiefem Erstaunen an. Dann ließ er mich, bis mein Fall beraten wäre, in ein Haftlo kal abführen.
    Dort saßen oder standen mehrere Personen herum, vor der Tür stand eine militärische Wache. Es fi el mir auf, daß ich, abgesehen von dem Mangel an Stiefeln, weitaus der am besten Gekleidete von allen war. Man ließ mich mit einer ge wissen Ehrfurcht sitzen, und sogleich drängte ein kleiner scheuer Mann sich neben mich, bückte sich vorsichtig zu meinem Ohr herab und fl üsterte mir zu: »Sie, ich mache Ih nen ein fabelhaftes 255
    Angebot. Ich habe zu Hause eine Zuckerrübe! Eine ganze, tadellose Zuckerrübe! Sie wiegt bei nahe drei Kilo.
    Sie können Sie haben. Was bieten Sie?«
    Er bog sein Ohr zu meinem Munde, und ich fl üsterte:
    »Machen Sie mir selbst ein Angebot! Wieviel wollen Sie ha ben?«
    Leise fl üsterte er mir ins Ohr: »Sagen wir hundertfünfzehn Gulden!«
    Ich schüttelte den Kopf und versank in Nachdenken.
    Ich sah, ich war zu lange weggewesen. Es war schwer, sich wieder einzuleben. Viel hätte ich für ein Paar Schuhe oder Strümpfe gegeben, denn ich hatte an den blo-
    ßen Füßen, mit denen ich durch die nassen Straßen hatte gehen müssen, schrecklich kalt. Aber es war niemand in dem Zimmer, der nicht barfuß gewesen wäre.
    Nach einigen Stunden holte man mich ab. Ich wurde in das Amt Nr. 285, Zimmer 19 f, geführt. Der Schutzmann blieb diesmal bei mir; er stellte sich zwischen mir und dem Beam ten auf. Es schien mir ein sehr hoher Beamter zu sein.
    »Sie haben sich in eine recht böse Lage gebracht«, fi ng er an. »Sie halten sich in hiesiger Stadt auf und sind ohne Exi
    stenzbewilligungsschein. Es wird Ihnen be-
    kannt sein, daß die schwersten Strafen darauf stehen.«
    Ich machte eine kleine Verbeugung.
    »Erlauben Sie«, sagte ich, »ich habe eine einzige Bitte an Sie. Ich sehe vollkommen ein, daß ich der Situation nicht ge wachsen bin und

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