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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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mit Wunderkräf ten Begnadeter.
    Kurz, ich war also wieder eine Weile fortgewesen.
    Nach zwei oder drei Kriegsjahren hatte die Gegenwart viel an Reiz für mich verloren, und ich drückte mich hinweg, um eine Weile andere Luft zu atmen. Auf dem gewohnten Wege ver ließ ich die Ebene, in der wir leben, und hielt mich gastweise auf anderen Ebenen auf.
    Ich war eine Zeitlang in fernen Ver gangenheiten, jagte unbefriedigt durch Völker und Zeiten, sah den üblichen Kreuzigungen, Händeln, Fortschritten und Verbesse-rungen auf Erden zu und zog mich dann für einige Zeit ins Kosmische zurück.
    Als ich wiederkam, war es 1920, und zu meiner
    Enttäu schung standen sich überall noch immer mit der 250
    gleichen geistlosen Hartnäckigkeit die Völker im Kriege gegenüber. Es waren einige Grenzen verschoben, einige ausgesuchte Re gionen älterer höherer Kulturen mit Sorgfalt zerstört wor den, aber alles in allem hatte sich äußerlich auf der Erde nicht viel geändert. Groß war der erreichte Fortschritt in der Gleichheit auf Erden. Wenigstens in Europa sah es in allen Ländern, wie ich hörte, genau gleich aus, auch der Unterschied zwischen Kriegführenden und Neutralen war fast ganz verschwunden. Seit man die Beschießung der Zivilbe-völkerung mechanisch durch Freiballons betrieb, welche aus Höhen von 15 000 bis 20 000 Metern im Dahin-treiben ihre Geschosse fallen ließen, seither waren die Landesgrenzen, obwohl nach wie vor scharf bewacht, so ziemlich illusorisch geworden. Die Streuung dieser vagen Schießerei aus der Luft herab war so groß, daß die Absender solcher Ballons ganz zufrieden waren, wenn sie nur ihr eigenes Gebiet nicht tra fen, und sich nicht mehr darum kümmerten, wie viele ihrer Bomben auf neutrale Länder oder schließlich auch auf das Gebiet von Bundesgenossen fi elen.
    Dies war eigentlich der einzige Fortschritt, den das Kriegs wesen selbst gemacht hatte; in ihm sprach sich endlich eini germaßen klar der Sinn des Krieges aus.
    Die Welt war eben in zwei Parteien geteilt, welche einander zu vernichten such ten, weil sie beide das gleiche begehrten, nämlich die Befrei ung der Unterdrückten, die Abschaff ung der Gewalttat und die Aufrichtung 251
    eines dauernden Friedens. Gegen einen Frie den, der möglicherweise nicht ewig währen könnte, war man überall sehr eingenommen – wenn der ewige Friede nicht zu haben war, so zog man mit Entschiedenheit den ewigen Krieg vor, und die Sorglosigkeit, mit welcher die Munitions ballons aus ungeheuren Höhen ihren Segen über Gerechte und Ungerechte regnen lie-
    ßen, entsprach dem Sinn dieses Krieges vollkommen.
    Im übrigen wurde er jedoch auf die alte Weise mit be-deutenden, aber unzulänglichen Mitteln weitergeführt.
    Die bescheidene Phantasie der Militärs und Techniker hatte noch einige wenige Vernichtungsmittel erfunden
    – jener Phantast aber, der den mechanischen Streubal-lon ausgedacht hatte, war der letzte seiner Art gewesen; denn seither hatten die Geistigen, die Phantasten, Dichter und Träumer sich mehr und mehr vom Interesse für den Krieg zurückgezogen. Er blieb, wie gesagt, den Militärs und Technikern überlassen und machte also wenig Fortschritte. Mit ungeheurer Ausdauer standen und lagen sich überall die Heere gegenüber, und obwohl der Materialmangel längst dazu geführt hatte, daß die soldatischen Auszeichnungen nur noch aus Papier bestanden, hatte die Tapferkeit sich nicht erheblich vermindert.
    Meine Wohnung fand ich zum Teil durch Flugzeug-
    geschosse zertrümmert, doch ließ es sich noch darin schlafen. Immerhin war es kalt und unbehaglich, der Schutt am Boden und der feuchte Schimmel an den 252
    Wänden mißfi elen mir, und ich ging bald wieder weg, um einen Spaziergang zu ma chen.
    Ich ging durch einige Gassen der Stadt, die sich stark ge gen früher verändert hatten. Vor allem waren keine Läden mehr zu sehen. Die Straßen waren ohne Leben.
    Ich war noch nicht lange unterwegs, da trat ein Mann mit einer Blechnum mer am Hut auf mich zu und fragte, was ich tue. Ich sagte, ich gehe spazieren. Er: Haben Sie Erlaubnis? Ich verstand ihn nicht, es gab einen Wortwechsel, und er forderte mich auf, ihm in das nächste Amtshaus zu folgen.
    Wir kamen in eine Straße, deren Häuser alle mit wei-
    ßen Schildern behängt waren, auf denen ich Bezeichnungen von Ämtern mit Nummern und Buchstaben
    las.
    ›Beschäftigungslose Zivilisten‹ stand auf einem Schilde, und die Nummer 2487B4 dabei. Dort gingen wir hinein. Es waren die üblichen

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