Meisterin der Runen
ohne vergessen zu müssen.«
Trotz stand nun in ihrem Gesicht, kein Schmerz mehr.
»Es mag viele geben, die dich betrauern werden«, knurrte er. »Doch wenn ich dich töte, gehörst du mir.«
Du wirst nicht als blutige Fratze meine Träume heimsuchen, dachte er. Du wirst mich nicht verhöhnen und lästern, mein Herz sei so tot wie deines. Du wirst ewiglich verstummen, wie’s ein Mensch unweigerlich tut, fällt er von fremder, nicht von eigener Hand.
»Man gehört den Menschen, die man liebt«, murmelte sie.
»Nein«, widersprach er, »man gehört denen, die man hasst. Noch heute Abend werde ich weder dich noch Berit noch Aegla länger hassen. Noch heute Abend werde ich nur mir selbst gehören.«
Er trat auf sie zu, und Gunnora wusste: Die nächsten Augenblicke entschieden über ihr Geschick. Nicht ganz so sicher war sie, ob sie ihn ausreichend verärgert hatte, ob er blind war wie damals, als er sie ohnmächtig hatte liegen lassen und gedacht hatte, sie wäre tot. Dieses Mal, so viel stand fest, würde er nicht vorschnell gehen, vielmehr so lange mit dem Schwert auf sie einstechen, bis kein Leben mehr da war – zumindest, wenn er die Gelegenheit dazu bekäme.
Er hob die Hand und strich über ihr Gesicht. Entgegen eigentlichem Trachten erwachte der Wunsch, doch zu Eis zu werden und sich gegen die Erinnerungen zu schützen, die auf sie einprasselten – wie er ihre Eltern getötet, wie er sie im Wald verfolgt und wie er sie gewaltsam genommen hatte. Das zäheste Gefühl war nicht Hass, sondern Ekel, schwer zu ertragen, aber durchaus willkommen, denn wenn er sie auch nicht erkalten ließ, so schien ihr Blut doch nicht mehr heiß durch ihre Adern zu fließen, sondern es war zäh wie Pech.
»Worauf wartest du?«, fragte sie.
Sie hatte gedacht, dass seine Geduld zu Ende wäre und ihr Wortwechsel auch, stattdessen setzte er ihr nicht nur mit seiner Berührung zu, sondern auch mit weiteren Sätzen.
»Du bist nicht einmal besonders schön«, zischte er, »nur so stolz, dass alle Welt vermeint, du wärest es. Aber mich täuschst du nicht länger, mich nicht!«
Wieder streichelte er über ihr Gesicht, ließ sich nicht von seiner Gier überwältigen wie einst, sondern tat es bedächtig, langsam, wachsam. Unmöglich, so ihr Vorhaben umzusetzen. Als sie bloß nach der Rune tasten wollte, packte er sie prompt am Handgelenk und zerrte sie zurück, nahm ebenso grob die zweite Hand und presste sie an die Wand. Nun hatte er keine Hände mehr frei, um ihr Gesicht zu berühren, und tat es darum mit seinen Lippen. Der Kuss war sanfter als erwartet, er ließ ihre Haut nicht platzen. Der Faustschlag, der folgte, tat’s umso mehr. Nun hatte er doch ihre Hände wieder losgelassen, sie vermochte dennoch nicht, erneut nach der Rune zu tasten oder gar nach dem Messer. Sie schmeckte Blut, fühlte Schwindel, vor allem Schmerz, als hätte er ihr den Schädel eingeschlagen.
Worte fand sie dennoch, höhnische Worte. »Davon werde ich auch nicht schöner.«
Er schlug wieder zu. »Das letzte Mal hast du nicht geschrien, aber dieses Mal wirst du schreien!«, zischte er, noch immer bedrohlich leise.
Das Bild vor ihren Augen schien zersprungen wie ein Tonkrug, den man hatte fallen lassen. Unmöglich, dass aus den Scherben jemals wieder ein Ganzes wurde! Doch wenn sie auch nur in Schemen sah – plötzlich wusste sie ganz genau, wie sie seiner Herr werden konnte.
Sie schrie auf und hielt weinend die Hände vors Gesicht: »Tu mir nichts, ich bitte dich, tu mir nichts.« Ihre Stimme klang flehentlich und hoch.
Nunmehr zum dritten Mal hatte er seine Hand gehoben, um sie wieder zu schlagen, aber ließ sie vorschnell sinken und lachte auf. Das Blut, auf das er gehofft hatte, ihr Herzblut, floss vermeintlich in Strömen, und wie erhofft, konnte er sich nicht beherrschen, wollte vielmehr darin baden! Er riss sie an den Haaren hoch, umfasste ihren Hals, drückte zu, nicht fest genug, um sie zu ersticken, nur, um das Bild vor ihren Augen noch mehr zu verdunkeln. Sie sah nicht, fühlte nur, wie die Hände tiefer wanderten. Immer noch flehte sie, schluchzte sie, zitterte sie.
Zugleich tastete sie nach ihrem Gürtel, fühlte die Rune, strich darüber und holte sich Kraft für das, was kam. Er würgte sie weiter, quetschte ihre Brüste, ihren Bauch, sie fühlte seine Berührungen kaum – allerdings fühlte sie auch das Messer nicht.
Sie tastete weiter. Nichts. Das Messer war fort. Das Messer, um ihn zu töten.
Wieder schrie sie auf, und dieses
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