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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Mal war ihre Panik nicht gespielt. Agnarr merkte keinen Unterschied, sein Gesicht schien zu lodern, und kurz schien er gar nicht zu bemerken, dass sie nicht einfach nur Angst und Ekel aus sich hinausschrie, sondern einen Namen: »Arfast! Arfast!«
    Sie tat es zu laut, als dass er sie überhörte. »Was, bei allen Göttern …?«, entfuhr es ihm verwirrt.
    »Arfast!«, brüllte sie wieder. »Arfast!«
    Agnarr war nun gewarnt, ahnte gewiss, dass Alruna gelogen hatte, dass Gunnora nicht allein hier war und er nicht mehr viel Zeit hatte, sie zu töten, aber noch tat er’s nicht. Er schleuderte sie von sich, und sie stolperte durch die Hütte, krachte mit dem Kopf gegen etwas Hartes und ging zu Boden. Das Bild vor ihren Augen verdunkelte sich jedoch nicht noch mehr, sondern klärte sich.
    Sie sah, dass Agnarr die Tür aufstieß, nach draußen spähte und erkannte, was auch sie nun sah: Sie war nicht allein, sondern mit einem Krieger gekommen, Arfast, doch dieser konnte ihr nicht zu Hilfe eilen. Er war von einem Mann angefallen worden wie von einem Tier. Der Angreifer hielt seine Kehle umklammert und machte es ihm unmöglich, nach dem Schwert zu greifen und ihrem Schrei zu folgen.
    Gunnora schloss die Augen. Der Mann war Samo. Er musste zurückgekommen sein, Hildes Leichnam entdeckt und vermutet haben, dass Arfast Seinfreda gefangen hielt. Dass dieser auch ohne Schwert auf Dauer stärker sein würde als er, darüber dachte er wohl nicht nach. Schon begann Arfast, ihn mit aller Kraft abzuschütteln, schon mit der Faust nach ihm zu schlagen. Samo wehrte sich verbittert, und auch wenn seine Kräfte nicht lange reichen würden – er raubte Arfast die seinen zu lange, als dass der Gunnora rechtzeitig zu retten vermochte.
    Seinfreda hätte eingreifen und seinen Irrtum aufklären können, doch Seinfreda war fort … in den Wald geflohen, wie Gunnora es ihr befohlen hatte. Und Alruna … nun, Alruna würde in diesen Kampf gewiss nicht eingreifen. Alruna musste es gewesen sein, die ihr Messer an sich genommen hatte, als sie sie umarmte …
    Arfast und Seinfreda würden später bezeugen, dass sie Gunnora unter Einsatz ihres Lebens hatte retten wollen und Richard, gramgebeugt, aber gerecht, würde es Alruna lohnen, doch in Wahrheit hatte sie von Anfang an geplant, sie zu verraten …
    Gunnora richtete sich auf. Alle Glieder taten ihr weh, dennoch schaffte sie es, auf die Beine zu kommen. Es nutzte nichts. Agnarr schloss die Tür wieder, trat auf sie zu.
    Schrei nicht!, dachte sie. Erniedrige dich nicht noch mehr!
    Aber sie konnte nicht anders, als zu schreien. Und sie dachte: Ich will Richard wiedersehen, ich will meine Schwestern umarmen, ich will meinen kleinen Sohn liebkosen. Ich will die Sonne auf meiner Haut und das Gras unter meinen Sohlen fühlen, ich will süße Milch trinken und würziges Fleisch essen. Ich will doch leben.
    Alruna war in den Wald gegangen. Sie wollte nichts sehen, vor allem nichts hören, doch sie war nicht weit genug gegangen, und die Wand aus Blättern war nicht dick genug, um die Schreie zu dämpfen.
    Sie starrte auf das Messer in ihren Händen, konnte sich nicht erinnern, jemals eines gehalten zu haben, und fragte sich, ob sie die Macht hätte, es gegen einen Menschen zu richten. Sie war sich dessen nicht sicher. Zwar hätte sie beinahe den kleinen Richard getötet, aber sie hatte die Kälte zu ihrer Verbündeten gemacht, nicht auf Waffengewalt gesetzt, desgleichen wie nun Agnarr ihr Helfershelfer war.
    Die Klinge war glatt und sauber. Kein Tropfen von Gunnoras Blut würde sie beschmutzen, und doch hatte sie sie so gut wie getötet, als sie ihr das Messer heimlich geraubt hatte. Sie umkrampfte den Griff so fest, dass sich ihre Fingernägel in den Daumenballen gruben – ein guter Schmerz, ebenso willkommen wie das Blut, das vielleicht fließen würde. Ja, wenn ihre Fingernägel nicht scharf genug waren, konnte sie mit dem Messer ihre Haut aufritzen, sodass ein wenig von dem Lebenssaft, der heute vergossen würde, auf sie zurückfiele, sie folglich nicht unversehrt aus allem hervorginge, sondern bestraft und deshalb fähig weiterzuleben, ohne vom schlechten Gewissen erdrückt zu werden.
    Warum war es so leicht zu töten? Warum so schwer, mit dem Gedanken daran zu leben? Warum hatten ihre Hände so selbstverständlich Gunnoras Messer an sich gebracht? Und warum war da plötzlich ein Schmerz in der Brust, glühender noch als der, den sie Tag für Tag empfunden hatte in den Zeiten, da sie Richard

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