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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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hier wartest, weiß sie nicht.«
    Die Furcht in Seinfredas Gesicht war ein Häppchen, das er genüsslich auskostete; in Erwartung eines noch reicheren Mahls wuchs sein Appetit.
    »Schau, dass du fortkommst«, herrschte er Alruna an. »Wenn du mich belogen hast, wirst du deiner Strafe nicht entgehen.«
    Auch wenn sie die Furcht nicht offen zeigte, Unbehagen nahm er auch bei ihr wahr – und erfreute sich daran.
    Und dann erschien sie, die schwarze Dänin, die so oft seine Träume heimgesucht, so oft seine Pläne durchkreuzt hatte und selbst dann für ihn unerreichbar geblieben war, als er sie in seinem Besitz gehabt hatte. Irgendwie war es ihr gelungen, ihr Innerstes zu verbergen. Nun lag es erstaunlich nackt vor ihm.
    Zuerst war ihre Miene besorgt, dann, als sie ihn erkannte, entsetzt, schließlich, als ihr Blick ihre Schwester traf … voller Liebe.
    So weich waren ihre Züge noch nie gewesen, die Ahnung, wie unsinnig es war, sie zu schlachten, anstatt um diese Liebe zu buhlen, noch nie so stark, die Frage, warum er ihr Blut vergießen wollte, wenn aus ihrem Herzen doch süßer Honig quoll, noch nie so laut.
    Warum will ich sie töten?, dachte er. Und warum hast du dich getötet, Berit? Du hättest mich doch einfach gern haben können, mich streicheln, mich küssen. Du hättest nicht beim Töten die Erste sein müssen, sondern beim Geben und Schenken. Du hättest mich doch wissen lassen können, wie die Liebe schmeckt.
    Rasch rief er sich wieder zur Vernunft. Von Honig bekam man ja doch nur klebrige Finger und einen verschmierten Mund, und die Liebe bekam einem Mann gewiss kaum besser. Auf keiner Ahnentafel stand: Ich war ein Held, weil ich mir den Bauch vollgeschlagen habe.
    Er griff nach seinem Schwert und drohte: »Dieses Mal entkommst du mir nicht.«
    Die Augen verrieten die Angst, die Hände nicht. Anstatt sie schützend über ihrem Leib zu verschränken oder sie abwehrend zu heben, ließ sie sie hängen.
    »Ich gehöre dir … wenn du sie gehen lässt.«
    »Du gehörst mir ohnehin.«
    Obwohl er danach gehungert hatte, enttäuschte es ihn, dass ihr Blick nicht hart und kalt wurde, sondern flehentlich.
    »Lass meine Schwester gehen, ich bitte dich!«
    Ihre Stimme zitterte, und plötzlich war er sich sicher: Seine Mutter hätte sie dafür verachtet, und Berit noch mehr. Ob es ihm gefiel oder nicht, wusste er immer weniger.
    Er rang mit sich, ging hin zu Seinfreda und löste ihre Fesseln. Sie rührte sich nicht.
    »Geh!«, herrschte er sie an.
    Sie regte sich immer noch nicht. Ehe er sie packen und hinauszerren konnte, richtete Gunnora das Wort an sie.
    »Er hat recht, geh! Alles ertrage ich, nur nicht, dich in Gefahr zu wissen. Geh hinaus, lauf, so weit du kannst, und dreh dich nicht nach mir um. Dies ist meine Bitte, vielleicht die letzte: Achte auf dich, nicht auf mich. Du musst sie erfüllen.«
    Da waren keine Furcht mehr und kein Entsetzen in Seinfredas Gesicht – nur Schmerz. Er ergötzte sich daran und fragte sich doch plötzlich, ob Schmerz noch langlebiger, weil intensiver war als Ruhm. Wer immer ihn erlitten hatte, der blieb von ihm gezeichnet: Seinfreda würde ein Leben lang klagend dieser Stunde gedenken.
    Ist es am Ende das, was von uns bleibt?, dachte er. Das Leid, nicht der Triumph?
    Aber nein, der Triumph war hart und kalt und dauerhaft wie ein Schwert, der Schmerz hingegen so klebrig wie Harz, das an den Händen haften blieb, stützte man sich gedankenlos an einen Baum. Erst wenn man einen Tümpel fand und sich so lange wusch, bis die Haut vor Kälte brannte, wurde man es los.
    Er hatte keine Lust, sich weiterhin an Seinfredas Leid zu weiden. »Geh!«, brüllte er noch einmal.
    Seinfreda floh, und ihr Schmerz verzerrte nun Gunnoras Gesicht. »Es ist keine Heldentat, eine Frau in seine Gewalt zu bringen und sie dann zu töten«, murmelte sie, als ahnte sie seine geheimsten Gedanken. »Es langweilt die Götter, es bringt sie weder zum Weinen noch zum Lachen.«
    »Gewiss«, musste er eingestehen, »doch wenn ich nicht länger von dir abgelenkt bin, habe ich endlich genügend Zeit, Heldentaten zu vollbringen und den Göttern zu gefallen.«
    »Selbst dann bleibst du einer, der wehrlose Menschen erschlägt.«
    »Die Schwachen zu zertreten ist nichts, was den Göttern missfällt. Und selbst wenn es so wäre: Bist du tot, gibt es niemanden mehr, der sich daran erinnert. Dann werde ich es selbst vergessen und neu beginnen.«
    »Und sieh, das unterscheidet uns. Ich kann die Neue und Alte zugleich sein,

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