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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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liebte?
    Vor allem aber: Was ging in der Hütte vor?
    Sie schlich zurück, sah Arfast, der von Samo überwältigt worden war und sich vergebens wand, sah Agnarr, der voller Triumph an der Tür stand, und sah Gunnora mit blutigem Gesicht auf dem Boden liegen. War sie etwa schon tot? Nein, sie kämpfte sich mühsam hoch, konnte kaum gerade stehen, gab aber dennoch nicht auf – genauso wenig wie Arfast. Fast schon war er Samo Herr geworden, doch noch viel schneller würde Agnarr Gunnora bezwingen.
    Alruna stand wie erstarrt da. Grelle Bilder blitzten vor ihren Augen auf. Sie sah Richard als Kind, Richard als Krieger, Richard an Gunnoras Seite. Unwillkürlich hob sie das Messer und schnitt durch die Luft. Wenn sie schon nicht fähig war, eigenhändig die Nebenbuhlerin zu töten, könnte sie wenigstens die Erinnerungen zerschneiden, bis nur mehr winzige Teilchen blieben, nicht größer als Schneeflocken, die zu Boden sanken und schmolzen und deren Kälte keine Macht mehr hatte.
    Aber schon einen Augenblick später ließ sie das Messer wieder sinken, denn plötzlich wusste sie: Sie konnte die Erinnerungen an Richard nicht ausmerzen, und noch weniger die an Gunnora, die dort drinnen erbittert um ihr Leben kämpfte. Mochte dieser Kampf auch vergebens sein – er war doch der Beweis, dass das Leben schöner war als der Tod und sich selbst Schmerzen lohnten, solange sie Wunden heilen ließen.
    Alruna hastete zur Hütte. Samo und Arfast hielten einander fest umklammert. Sie öffnete den Mund, wollte schon schreien: Tu ihm nichts, er ist nicht der Feind! Aber sie wusste, dass es nicht seine Aufgabe war, Gunnora zu retten, sondern ihre. Und es war nicht ihre Aufgabe, Agnarr zu töten, sondern die Gunnoras.
    Agnarr hatte die Tür wieder zugeworfen, jetzt riss Alruna sie auf, stürzte in die Hütte. Sie sah kaum etwas, so düster wie es war. Die zwei Menschen glichen Schatten, ein großer war da und ein kleiner. Sie sprang Agnarr von hinten an, er schüttelte sie mühelos ab. Immerhin, dass sie laut polternd zu Boden fiel, zog seinen Blick auf sie. Er hob den Fuß, drückte ihn auf ihre Brust, sodass sie sich nicht rühren konnte – fast nicht. Ihre Hand hatte sie noch frei, und mit der Hand konnte sie das Messer in Gunnoras Richtung werfen. Sie tat’s mit letzter Kraft, schloss die Augen, hörte nur, aber sah nicht mehr, was dann geschah.
    Ein tödlicher Stoß. Ein überraschtes Ächzen. Gunnora schrie nicht mehr, doch sie sagte etwas.
    »Das ist dafür, dass du meine Eltern getötet hast. Und dafür, dass du mich geschändet hast.«
    Agnarr tobte nicht, als er starb, der Tod kam wohl zu schnell, er hatte ihn nicht kommen sehen, er hatte ihn schon gar nicht gehört.
    Alruna öffnete die Augen wieder, sah das Messer in seiner Brust stecken, sah, wie er auf die Knie sackte, sah Blut auf den dunklen Boden fließen und dort versickern. Es schmilzt ja, dachte sie, es schmilzt ja wie Schnee! Und es schmerzt ja gar nicht, dass Gunnora noch lebt und Richard sie noch liebt!
    Mit einem dumpfen Poltern fiel Agnarr auf den Boden. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, nicht erkennen, ob er noch grausam lächelte oder verblüfft aussah oder vielmehr wütend, weil er von einer Frauenhand getötet worden war. All das war an der Schwelle zu dem Reich, in dem erworbene Reichtümer so wenig zählten wie Empörung und Zorn, ja nicht mehr wichtig.
    »Warum hast du das getan?« Gunnoras Stimme war dunkel und tief.
    Alruna konnte eine Weile nichts sagen. »Ich musste es tun …«, stammelte sie, »ich … musste dir helfen. Genau so, wie du ihn töten musstest.«
    Gunnora nickte. Auch sie war jener Schwelle, hinter der weder Vergangenheit noch Gefühle zählten, so nahe gekommen, dass sie vor allem verlockend schien, nicht beängstigend. Kurz war ihr Blick leer wie der eines Leichnams, doch ehe sich ihr wacher Geist der Schläfrigkeit des Todes ergab, ging ein Ruck durch ihre Gestalt, und mit jener Kraft, die in die Glieder zurückkehrte, trat sie nach Agnarrs Leichnam. Der Hass, der in ihr wütete, war heftig und laut, ihre Stimme war es nicht, als sie sich an Alruna wandte.
    »Du hast gehört, was ich zu ihm sagte, nicht wahr?«, flüsterte sie. »Du bist eine kluge Frau und wirst daraus deine Schlüsse ziehen.«
    Schweigen senkte sich über die Hütte, noch machtvoller als Gunnoras Hass. Sie trat nicht länger auf Agnarrs Leichnam ein, sondern wich zurück. Die Welt schien zu verstummen, während sie auf ihre Antwort wartete.
    »Ja«, murmelte

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