Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
du da bist.«
    Gunnora überlegte kurz.
    »Du hast recht.«
    Trotz der Zustimmung zögerte Alruna. Noch trat sie nicht auf die Hütte zu, sondern umarmte Gunnora, eine deutliche Geste, sie zu ermutigen.
    Gunnora erwiderte die Umarmung nicht, war vielmehr zutiefst befremdet über dieses Zeichen von Nähe, doch wenn Alruna ihr damit Kraft zu geben vermochte, so wollte sie diese gern annehmen. Sie brauchte alle, die sie bekommen konnte.
    Alruna lief in die Hütte, und Gunnora wartete. Sie war nicht sicher, ob nur ein Augenblick verging oder eine Ewigkeit, in der sie die Macht der Rune Hagalaz, die sie geschnitzt hatte, beschwor und hoffte, sie möge so viel Zerstörung wie möglich bringen. An die Rune Isa dachte sie nicht. Vielleicht würde sie noch stärker und mutiger sein, wenn sie sich hinter einer Eisschicht verbarg, doch falls sie dort drinnen den Tod fand und Seinfreda zum letzten Mal sah, so sollte in dem Blick, den sie auf sie warf, alle Liebe stehen, derer sie fähig war, und alles Bedauern, dass sie so früh von ihr gehen musste. Ihre letzten Gedanken sollten ihrem kleinen Sohn gelten, und ihr letztes Gefühl die Trauer sein, ihn nicht wiederzusehen. Sie schloss die Augen, dachte an seinen kleinen, süßen Leib, an sein glucksendes Lachen, an die winzigen Finger, die die ihren manchmal so kraftvoll umkrallten, und den weichen Haarflaum, der sie am Kinn kitzelte, wenn sie ihn an sich presste.
    Für dich tue ich es, auch für dich, dachte sie. Keine Rechnung der Vergangenheit soll offen sein, deine Zukunft vielmehr rein und unbelastet.
    Sie öffnete die Augen und sah, dass Alruna wieder ins Freie getreten war. Fliegen umsurrten Hildes Leichnam, als Alruna über ihn stieg.
    »Er weiß, dass du gleich kommst – aber glaubt, ich hätte dir verschwiegen, dass er hier ist.«
    Es kam für Agnarr unerwartet, aber er musste sich mit der Zeit wohl oder übel eingestehen, dass auch die blonde Schwester Schneid hatte. Zuerst hatte sie, von Schrecken und Furcht übermannt, den Blick nicht vom Leichnam der Alten lösen können. Auch ihm selbst war dieser schließlich lästig geworden, erinnerte ihn die Tote doch an seine Mutter. Nachdem er sie nach draußen geworfen hatte, war Seinfreda gefasster, und in ihren Augen las er jene Kälte und jenen Stolz, um die er Gunnora oft beneidet hatte.
    Er erinnerte sich an eine Geschichte, die er als Kind oft gehört hatte – von den ersten Menschen Ask und Embla, die die Götter aus angeschwemmtem Treibholz geschnitzt hatten. Der Baum, aus dem diese Schwestern gemacht worden waren, musste ein besonders mächtiger sein. Die Rinde war so hart, dass man sich daran die Hand aufschürfte, das Blätterdach so dicht, dass im Schatten kein Pflänzchen wachsen konnte, und die Wurzeln, die aus dem Boden ragten, konnten jeden zu Fall bringen, der darüber stolperte.
    Er war fest entschlossen, nicht zu fallen, hatte zu lange auf diesen Moment gewartet, doch er fragte sich unwillkürlich, aus welchem Holz er gemacht war. Kein besonders brüchiges war es, das gewiss, sonst wäre er nicht hier, doch wenn man es verbrannte, so würde es keine Wärme spenden, nur giftigen Rauch, der alles erstickte. Schließlich hatte er erst Berit in den Tod getrieben und dann seine Eltern getötet – den Vater durch eigene Hand, die Mutter, falls sie nicht doch noch irgendwo dahinvegetierte, durch Rücksichtslosigkeit.
    Seinfreda beobachtete ihn argwöhnisch, doch mit der Zeit wurde sie sichtlich müde. Auch er bemerkte, wie anfängliches Triumphgefühl der Erschöpfung wich – und dem Hunger. Er befahl ihr, ein Mahl zu bereiten, und sie tat es wortlos. Was immer sie zusammenrührte und brutzelte – es schmeckte erstaunlicherweise gut. Als sie beide schweigend am Tisch saßen und das Herdfeuer ihre Schatten an die Wände malte, hätte jeder Fremde sie für ein trautes Paar halten können.
    Alles auf der Welt ist Täuschung, dachte er. Wir tun ja bloß so, als lohnte es sich, Weiber zu lieben, Kinder in die Welt zu setzen, den Boden zu beackern und reiche Ernte einzufahren. Von all dem aber bleibt nichts. Das Einzige, woran sich die Götter erinnern, ist Ruhm.
    Bald schien ihm wenig ruhmreich, eine Frau tagelang zu bewachen, und vor allem war es langweilig. Am zweiten Tag erwachte Ungeduld, doch ehe sie ihn aus der Hütte trieb, kehrte Alruna zurück. Es war noch nicht Mittag.
    »Sie folgt mir«, erklärte sie hastig, »ich habe ihr gesagt, dass Seinfreda krank sei und sie sehen wolle … Dass du stattdessen

Weitere Kostenlose Bücher