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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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wollte sie nicht zu Schaden kommen lassen – auch wenn dies bedeutete, auf die Gaben, mit denen Fridas Beutel gewiss gefüllt war, verzichten zu müssen.
    »Sag ihr ins Gesicht, was dir missfällt«, verkündete sie, »anstatt ihr das Messer heimlich in den Rücken zu rammen. Solch ein Verhalten ziemt sich keiner anständigen Frau.«
    Ihre Stimme klang tief und grollend, und zu ihrer Überraschung begehrte Frida nicht auf, sondern zog kleinlaut den Kopf ein, ohne die Bitte erneut zu äußern. Nach einer Weile reichte sie Gunnora eine Axt, mit der man Holz hackte.
    »Kannst du mir denn eine Rune ins Werkzeug ritzen, damit die Arbeit leichter von der Hand geht?«
    Gunnora nickte, nahm die Axt und ritzte hastig die Tyr-Rune in den Knauf. Von dieser Rune wusste sie nur, dass sie Kriegern zum Sieg verhalf, wenn ihre Waffen damit gekennzeichnet waren, aber sie hoffte, dass auch Gegenstände des täglichen Gebrauchs davon Nutzen trugen.
    Schweigen senkte sich über sie. Zu hören waren nur das Schaben des Messers auf dem Holz und der Wind, der durchs Blätterwerk fuhr. Mehrmals hoben Asta und Frida ängstlich den Blick, schienen erleichtert, als das Werk vollbracht war, und packten hastig ihre Gaben aus – neben erwähnten Zwiebeln und Lauch ein paar Eier, Käse, Haferbrot und Birnen. Gunnora hatte sich zwar insgeheim nach einem Huhn oder gar geräuchertem Aal gesehnt, doch so oft, wie sie hungern musste, war auch das ein Festmahl, und ihr lief das Wasser im Munde zusammen. Mühsam zwang sie sich zur Beherrschung.
    »Was kann ich sonst für euch tun?«, fragte sie.
    Die Frauen trugen ihr noch einige andere Bitten vor. Frida erzählte von ihrer Schwester, die bald heiraten würde, und bat um einen ähnlichen Talisman, den Asta erhalten hatte. Diese wiederum wollte wissen, wann der geeignete Tag sei, Schweine zu schlachten. Gunnora kochte Kräutersud, starrte lange hinein und verkündete schließlich: »In vier Tagen.«
    »Und wann ist die Zeit für die Weinlese gekommen?«
    »Nicht vor dem nächsten Neumond.«
    Die Frauen erhoben sich und wandten sich zum Gehen, doch nach ein paar Schritten blieb Asta noch einmal stehen.
    »Und wenn mein Sohn trotz der Rune nicht gesund wird?«, fragte sie ängstlich.
    Gunnora blickte sie ernst an. »Ich bin eine Völva, kein Laeknir, wie man die Heiler nennt. Dessen musst du dir im Klaren sein. Du bist zu mir gekommen, weil du mir vertraust und ebenso den Göttern. Zweifle nicht, dann wird sich alles zum Guten wenden.«
    Asta nickte betroffen, indessen sich in Gunnoras eigenem Herzen Skepsis regte. Sie glaubte zwar an die Macht der Runen, und wenn sie nicht all die Jahre gewirkt hätten, kämen diese Frauen nicht immer wieder aufs Neue zu ihr, aber manchmal tat es weh, an ihnen eine schlichte Hoffnung zu wittern, die sie selbst nicht teilte – die Hoffnung, mit etwas Zauberei das Leben zu bezwingen und alles zu bekommen, was man begehrte.
    Vielleicht waren die Wünsche der Frauen schlicht genug, um sie zu erfüllen, sie hatte aber nicht die leiseste Ahnung, mit welcher Rune sie aus ihrem Dasein mehr als ein nacktes Überleben machen konnte, wie die Sehnsucht stillen, sich nicht immer stark und weise geben zu müssen, sondern schwach und verzagt sein zu dürfen, wie der Furcht begegnen, die sie in der Einsamkeit des Waldes manchmal befiel – vor den unsichtbaren Augen, die sie zu beglotzen schienen, und noch mehr vor der Stimme in ihr, die da lauernd flüsterte: Was immer du tust, es hat ja doch keinen Nutzen, wenn du am Ende des Tages allein bist.
    Die Frauen schieden alsbald grußlos von ihr, und Gunnora blieb nichts anderes zu tun, als sich zu erheben, die steifen Beine zu strecken und sich nach einem kärglichen Mahl einmal mehr daranzugeben, Runen zu schnitzen, an diesem Tag auch drei ineinander verwobene Dreiecke, das Symbol des Göttervaters Odin, das ihr im Schlaf Weisheit schenken sollte, und vielleicht – falls Odin nicht allzu bösartig war und sich an ihrem Leid laben wollte – auch die Einsicht, wie sie das stete Hadern mit ihrem Geschick verstummen lassen könnte.
    Wieder war nichts zu hören als das Schaben ihres Messers auf dem Holz und die Melodie des Waldes, an manchen Tagen sanft und schön, an anderen so düster und grollend, als würde sie verflucht werden. Kaum hörbar segelten die Blätter zu Boden, und doch zuckte sie beim kleinsten Rascheln zusammen, war dieses Geräusch doch Vorbote des nahenden Winters, der noch mehr Kälte brachte, noch mehr Hunger und noch

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