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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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gesehen habe! Und wo sind Wevia und Duvelina, warum hast du sie nicht mitgebracht? Weint Duvelina immer noch im Schlaf und ist Wevia …«
    Seinfreda hob abwehrend die Hand, und da erst gelang es Gunnora, den Mund zu halten.
    »Ich beklage mich nicht über mein Leben«, murmelte die jüngere Schwester, »also tu du es auch nicht.«
    Gunnora wollte aufbegehren, beherrschte sich jedoch. Sie wusste ja, sie konnte nichts tun – die Lage der Schwestern ebenso wenig ändern wie die eigene. Das Einzige, was sie tun konnte, war, das Beste daraus zu machen, und wenn Seinfreda ebenso dazu entschlossen war, sollte sie sie darin bestärken und nicht Zwietracht säen und Hader erwecken.
    Als Gunnora Seinfreda genauer betrachtete, erkannte sie überdies, dass es nicht Hilde war, die ihr am meisten zusetzte, nicht Samos Rückgratlosigkeit oder die Klagen der beiden Kleinen, sondern ein ganz anderer Schmerz.
    »Ach, Seinfreda …«, seufzte sie.
    So viele Frauen waren zu ihr in den Wald gekommen, auf dass sie fruchtbar sein mögen, und fast alle waren binnen eines Jahres schwanger geworden. Nur der eigenen Schwester hatte sie nicht helfen können, und die Verzweiflung darüber war seit ihrem letzten Besuch gewachsen.
    »Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll«, brach es aus Seinfreda hervor. »Seit zwei Jahren bin ich nun verheiratet, Hilde starrt mir ständig auf den Bauch, und dennoch: Es will kein Kind darin reifen.«
    Nur mühsam verkniff sich Gunnora eine böse Bemerkung, wonach Hildes Blick gewiss nicht hilfreich sei, neues Leben zu empfangen und wachsen zu lassen. Aber sie wusste, das war kein Trost.
    »Du bist doch zu keinem ihrer Priester gegangen, oder?«
    Seinfreda schüttelte kleinlaut den Kopf, fügte jedoch zweifelnd hinzu: »Aber manchmal stand ich kurz davor, es zu tun. Ich meine, die Christen kennen viele heilige Frauen. Wenn man zu ihnen betet, so heißt es, dann …«
    Dieses Mal konnte sich Gunnora nicht zurückhalten. »Du hast den Glauben unserer Eltern oft genug verraten, denkst du nicht?«
    »Und deswegen bist du der Meinung, ich werde bestraft?«
    Gunnora senkte den Blick. Ja, manchmal dachte sie es – nicht, dass Seinfreda bestraft wurde, aber dass es nicht recht war, in einem Land Kinder zu zeugen und zu gebären, wo das Blut der Eltern vergossen worden war.
    Allerdings war so vieles nicht recht, und es geschah trotzdem. Seinfreda hatte Samo geheiratet und seine Sprache übernommen. Mittlerweile musste sie manchmal mühsam nach einem Wort ringen, wenn sie dänisch sprach, und die jüngeren Schwestern nutzten ganz selbstverständlich die fränkische Sprache, sagten Hafen statt Höfn oder segeln statt sigla , sprachen das H nicht mehr laut, das C als K und verwendeten viele Wörter, die Gunnora noch nie gehört hatte.
    »Hab keine Angst«, sagte Gunnora. »Es ist keine Strafe, und selbst wenn es so wäre, muss sie dich nicht für alle Zeit treffen. Die Götter sind wankelmütig. Auch wenn es sie erzürnt hat, dass du dich hast taufen lassen, haben sie es morgen vielleicht schon wieder vergessen. Wir können sie gnädig stimmen, wenn wir ihnen ein Blót darbringen, ein Opfer. Am besten, du machst es selbst. Ihr habt doch Hühner und Ziegen – wenn du eine nimmst und sie Jörd schenkst, der Erdmutter, dann …«
    Seinfreda schüttelte den Kopf. »Ich will das nicht.«
    Gunnora unterdrückte ein Seufzen. »Dann lass mich dir wenigstens eine Rune schnitzen, die du später unter Samos und deine Bettstatt legst. Am besten die Rune Berkana, die für den Mutterschoß und das Gebären steht, oder die Rune Kenaz, die besonders fruchtbar macht. Du musst nur darauf achten, dass sie nicht verkehrt herum liegt, dann erzielt sie nämlich die gegenteilige Wirkung. Ansonsten aber wird sie dir helfen.«
    Erneut hob Seinfreda abwehrend die Hand. »Ich will das nicht«, wiederholte sie. Ihre Stimme klang kleinlaut, doch ihr Blick hielt dem von Gunnora stand. »Die Runen mögen in unserer Heimat ihre Macht entfaltet haben, aber hier …«
    »So viele Frauen kommen zu mir in den Wald, und ihnen allen kann ich helfen!«
    »Weil sie daran glauben. Mir jedoch fällt es schwer, nach allem, was geschehen ist …«
    »Gerade deswegen gilt es, unserer Eltern und ihrer Bräuche zu gedenken.«
    »Aber unsere Eltern sind tot!«
    Gunnora schüttelte empört den Kopf. »Wie kannst du nur!«, fuhr sie auf.
    »Ich sage doch nur die Wahrheit«, sagte Seinfreda. »Ja, sie sind tot, das kannst du nicht leugnen. Glaub mir, ich weine jeden

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