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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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den Appetit verliert – auf Wild … und auf Frauen.
    Samo war nun gleichfalls zum Tisch getreten, doch Richard achtete nicht auf ihn, sah nicht, was nun Gunnora sah – dass es für Samo ein Leichtes gewesen wäre, das Schwert zu nehmen, es aus der Klinge zu ziehen und Richard zu erschlagen. Vom Essen und Seinfredas Anblick abgelenkt, würde er vielleicht nicht einmal bemerken, wenn sie in die Hütte hastete und es selbst tat. Das Schwert war gewiss schwer, aber unmöglich, dass es mehr Gewicht hatte als ihr Hass. Und wie befreiend es wäre, diesen Hass wüten zu lassen! Wie befriedigend, Gewalt zu bringen, anstatt zu erleiden!
    Doch Gunnora unterdrückte ihre Gefühle. Sie sagte sich erneut, dass, wenn hier und heute das Blut des Grafen vergossen würde, sie alle darin ertrinken würden.
    Seufzend senkte sie den Blick und trat vom Haus zurück. Fern vom Lichtschein des Herdfeuers war es nun stockdunkel. Der Wald glich einer schwarzen Wand. Kaum erkannte sie Samos Gesicht, als der wieder ins Freie trat, um erst das Pferd des Grafen zu füttern, dann zu ihr zu treten.
    »Bist du dazu bereit?«, fragte er.
    Angst klang aus seiner Stimme. Obwohl sie verstand, warum er nicht um Seinfredas Ehre kämpfte – zumindest nicht offen, nur mit den Mitteln des Betrugs –, fuhr sie ihn ungehalten an.
    »Du bist nicht nur einfältig, sondern auch feige. Ich für meinen Teil bin nicht feige!«
    Es war zu dunkel, um in seinem Gesicht zu lesen.
    »Also bist du bereit!«
    Sie nickte nur und wandte sich ab. Samo ging wieder hinein, und wenig später ertönten Schritte, leiser und leichter als seine. Seinfreda umarmte sie von hinten, ja, schmiegte sich förmlich an sie. Gunnora konnte ihre Brüste fühlen, klein und spitz, und löste sich abrupt von ihr. Sie drehte sich um, sah, dass Seinfredas Haar nicht länger honigblond schimmerte, sondern schwarz schien … schwarz wie ihres. Die Nacht war ihre wichtigste Verbündete, wenn es galt, den Grafen zu überlisten.
    »Du musst das nicht tun«, murmelte Seinfreda.
    »Wie merkwürdig«, sagte Gunnora nur.
    »Was ist merkwürdig?«
    »Ich habe zu dir dasselbe gesagt, als du Samo geheiratet hast. Dass du es nicht tun musst.« Sie zuckte die Schultern. »Du hast nicht auf mich gehört.«
    »So wenig, wie du jetzt auf mich hören wirst, nicht wahr?«
    »Es gibt keine andere Lösung. Er wird nicht gehen, ehe er bekommen hat, was er will. Und du … du machst dir so große Vorwürfe, weil du kein Kind empfangen kannst. Du willst deiner Ehe mit Samo nicht auch noch … das aufbürden.«
    Sie war sich nicht sicher, aber sie glaubte im fahlen Licht des Mondes Tränen in Seinfredas Augen zu sehen, sie schimmerten silbrig. Warum weinte sie jetzt, warum nicht damals um ihre Eltern?
    »Wag es nicht, mich zu bedauern!«, fuhr sie ihre Schwester schroff an.
    Seinfreda schluckte die Tränen, und Gunnora gab ihr mit kalter Stimme Anweisungen.
    Im Langhaus sei es zwar wärmer, erklärte Seinfreda dem Grafen, doch im Schuppen neben der Vorratskammer, wo sich Werkzeuge befanden – grobe Äxte, eine Steinschleuder und ein Netz –, würde er gewiss mehr Ruhe finden.
    Gunnora hörte ihn durch die Türe spotten: »Ich fürchte aber, dass ich dort einsam sein werde.«
    Und sie hörte, wie Seinfreda neckisch antwortete: »Dann werde ich Euch wohl besuchen müssen.«
    Gunnora konnte ihn nicht sehen, war sich jedoch sicher, dass er sich erregt über die Lippen leckte.
    Sie zog sich in den Schatten der Bäume zurück, bis Richard das Haus verlassen hatte und die kleinen Schwestern schliefen. Dann schlich sie sich noch einmal ins Langhaus, um sich aufzuwärmen. Mit einem eisigen Körper konnte sie unmöglich vor Richard treten.
    Samo starrte auf den Boden, so wie er es für gewöhnlich tat, wenn Hilde zugegen war und es zu Streit kam, Seinfreda blickte sie flehentlich an, sagte aber kein Wort, sondern reichte ihr nur einen Kamm, damit sie sich Blattwerk, Ästchen und Spinnweben aus dem zerzausten Haar kämmen konnte.
    Seit zwei Jahren hatte sie sich nur mit den Fingern das Haar gekämmt, erst jetzt bemerkte sie, dass es hüftlang gewachsen und so verfilzt war, dass sie kaum mit den Zinken hindurchkam. Mit jedem Strich wurde sie ruhiger, entschlossener – und wehmütiger. Unweigerlich musste sie an den Kamm denken, den ihr Vater einst der Mutter geschnitzt hatte – aus dem Geweih eines Ziegenhorns –, so wie er vieles andere geschnitzt hatte: Nadeln, Spielsteine und kleine Figuren für die Mädchen. Was war aus

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