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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Frauen hat – nicht an Gewalt, ging ihr auf. Doch genau das erboste sie noch mehr. Wie konnte er das Werben um Seinfreda als Spiel betrachten, wie blind dafür sein, dass es für alle anderen bitterernst war, wie sich mit dem treuherzigen Lächeln über alle Sitten hinwegsetzen – einem Lächeln, das aller Welt sagen sollte: Ich hab’s nicht so gemeint! Er war doch der Graf, jedes seiner Worte hatte Gewicht, und mochte es noch so leichtfertig ausgesprochen sein.
    Gunnora rang mühsam um Fassung, atmete tief ein und lugte wieder hinein, um den Grafen genauer zu mustern.
    Seine Kleidung war vornehm, wenngleich nicht unbedingt prachtvoller als die eines reichen Kaufmanns: Um die Schultern trug er ein Hermelinfell mit einem roten Saum, darunter blitzte etwas silbern – ein Kettenhemd oder ein Brustschutz. Auf der Bank lag ein blauer pelzbesetzter Umhang mit einer Fibel, ihm war wohl in der Nähe des Herdfeuers zu warm geworden. Die Schuhe waren aus schwerem Rindsleder gemacht, deren feine Ziernähte mit einzelnen Steinen und Glasperlen geschmückt wurden.
    Wevia starrte fasziniert darauf, und Gunnora haderte, dass ihr Herz so leicht zu gewinnen war. Hatte Seinfreda nicht oft genug behauptet, Wevia sei klug? Warum ließ sie sich den scharfen Verstand von ihrer Sehnsucht nach Schönheit benebeln? Und auch Duvelina hatte der Graf im Nu erobert, indem er Geschichten erzählte, die sie so liebte. Gunnora hatte die Kleine schon lange nicht mehr gesehen, weil Duvelina immer weinte, wenn sie von ihr wegging. Nun lauschte sie rotwangig dem Grafen und kicherte dann und wann.
    Gunnora ballte die Hand zur Faust.
    Schon morgen, wenn er fortgeritten ist, dachte sie, werden sie ihn vergessen … und ich auch. Nie wieder werde ich an diesen Abend zurückdenken, nie wieder sein lächelndes Gesicht in meinem Inneren sehen …
    So entschlossen sie dem Schwur auch zu folgen gedachte – den bangen Gedanken, dass zwischen dem Abend und dem Morgen, da alles vergessen war, eine lange Nacht stand, konnte sie nicht vertreiben.
    Eben löste Wevia ihren Blick von den Schuhen, betrachtete die Fibel, die den Pelz zusammenhielt und an deren Spitze gleichfalls ein bunter Stein prangte. Ehrfürchtig strich sie darüber.
    Dem Grafen entging das nicht. Immer noch lächelnd löste er die Fibel und reichte sie ihr.
    »Willst du sie haben?«, fragte er. Seine Stimme klang nicht dunkel und grollend, sondern weich und angenehm.
    Wevia strahlte über das ganze Gesicht, als sie die teuerste Gabe, die sie je erhalten hatte, entgegennahm.
    Gunnora grub ihre Nägel in den Daumenballen, wie sie es oft tat, wenn sie ohnmächtig vor Wut war.
    Wusste sie denn nicht, dass seine Geschenke es Seinfreda noch schwerer machen würden, ihn abzuweisen? Und wusste er nicht, dass seine Großzügigkeit eine Form war, seine Macht zu zeigen? Ein Befehl wird, auch raunend ausgesprochen, noch nicht zur Bitte.
    Gunnora wandte den Blick von ihm ab. Wie sie ihn hasste, wie sie ihn verachtete, wie es sie ärgerte, dass er in diesem Langhaus saß und sich an der Ärmlichkeit nicht störte, obwohl er gewiss Mauern aus Stein gewohnt war und eine prunkvolle Einrichtung!
    Als sie den Blick wieder hob, sah sie Seinfreda. Im Licht des Herdfeuers schimmerten ihre Wangen rosig, ihr Haar schien honigblond und der Körper unter dem dunklen Kleid nicht zart, sondern rundlich. Gunnora konnte gut verstehen, warum sie Richard gefiel – was nicht bedeutete, dass sie ihm verzieh. Noch unerträglicher als sein Lächeln war das von Seinfreda. Natürlich lächelte sie, sie hatte ja immer gelächelt, auch damals, als sie Samo durch den Wald gefolgt waren, und an dem Tag, da sie ihn geheiratet hatte.
    Gunnora entging jedoch nicht, dass ihre Hände zitterten, als sie dem Grafen noch mehr Essen servierte – Suppe aus der Schüssel und ein Brett mit Wild. Den Eintopf, so hatte Samo ihr vorhin berichtet, hatte Richard noch verschmäht, so gebannt wie er Seinfreda betrachtet hatte, doch nun griff er beherzt zu und aß mit gutem Appetit. Das Fleisch schnitt er mit einem Messer klein, das er aus seinem Gürtel zog, die Suppe verzehrte er mit einem Löffel aus Holz, den er gleichfalls mit sich trug. Erst jetzt sah Gunnora, dass er sein Schwert – beinahe so groß wie Duvelina – bereits abgelegt hatte. Wahrscheinlich hatte auch dieses im Gürtel gesteckt.
    Wie merkwürdig, ging es Gunnora durch den Kopf, dass er sowohl das Werkzeug zu töten als auch das Werkzeug zu essen an seinem Leibe trägt, ohne dass er

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