Meisterin der Runen
dem ein dunkler Mann stand, der mit einem Hammer auf ein glühendes Ding schlug.
»Dieser Schmied verarbeitet Eisenerz. Es wurde geschmolzen und von seinen Schlacketeilen befreit, indem man es in einem Schachtofen schichtweise mit Holzkohle stapelte. Und nun kann man Scharniere, Schlösser, Kessel und Werkzeuge daraus herstellen.«
Wevia schien begeistert, Gunnora war es nicht. Mathilda entging ihr argwöhnischer Blick nicht. »Sie interessiert sich für alles, was glänzt, nicht wahr?«, meinte sie freundlich. »Und so dachte ich mir, sie sollte ruhig mehr darüber erfahren. Es ist gut, wenn der Mensch etwas findet, woran er sein Herz hängen kann. Meine Tochter liebt das Weben, weswegen ich sie früh zu Tuchmachern gebracht habe.«
Sie wandte sich wieder an Wevia: »Ich weiß, Schmuck gefällt dir besser, und darüber erfährst du gleich mehr. Aber was den Frauen der Schmuck ist, ist den Männern ihr Schwert. Dieser Schmied hier ist bekannt für seine kunstvollen Schwertgriffe und scharfen Klingen. Sieh nur, wie er sie anfertigt: Er dreht Bänder aus verschiedenen Eisenarten zusammen und schweißt darum eine Schnittkante aus hartem Stahl.«
Wevia lauschte mit offenem Mund, ehe ihr plötzlich ein Aufschrei entfuhr. Hatte sie sich bislang an Mathildas Seite gehalten, wagte sie sich nun in die Ecke der Schmiede, wo auf einem Tisch bronzene Fibeln und Gürtelschnallen lagen.
»Ja, auch das kann er, unser Meister Godhard.« Mathilda zwinkerte dem Schmied zu, der kaum merklich ihr Lächeln erwiderte, sich ansonsten aber weiter auf seine Arbeit konzentrierte. »Wenn man aus Bronze bestimmte Formen gießen will, nimmt man ein Modell aus Wachs«, fuhr Mathilda erklärend fort. »Man umschließt es mit Ton, der mit etwas Sand vermischt wurde. Der Ton wird gebrannt, und weil das Wachs dabei schmilzt, entsteht ein Hohlraum, in den man nun das flüssige Metall gießt. Und sobald die Form erkaltet ist, zerschlägt man den Tonmantel und erhält das fertige Schmuckstück. Schmuck wird natürlich nicht nur aus Bronze gemacht, sondern auch aus Gold und Silber. Zu diesem Zweck werden Muster in Gold- und Silberbleche gestanzt. Ein Relief entsteht, und darauf werden kleinste Granulationskugeln und gezwirnte oder gekerbte Filigrandrähte geschweißt. Meister Godhard ist sicher bereit, dir das einmal zu zeigen, aber heute ist er zu beschäftigt.«
Wevia nickte Godhard zu, und als sie wenig später die Schmiede wieder verließen, nahm sie ganz vertraulich Mathildas Hand. Der Anblick versetzte Gunnora einen schmerzlichen Stich, denn auch wenn Mathilda ihr nicht im Geringsten ähnlich sah, musste sie unwillkürlich an ihre Mutter denken, ebenso lebensklug und geduldig, aber stets darauf bedacht, den Töchtern viel abzuverlangen, wenn es darum ging, aufmerksam zu sein und zu lernen.
»Ich hätte so gern eine Perlenkette!«, rief Wevia eben seufzend.
Mathilda beugte sich zu ihr hinunter. »Warum gefällt dir Schmuck so gut?«
Gunnora war von dieser Frage überrascht. Selbst war sie nie auf die Idee gekommen, sie Wevia zu stellen, hatte die Besessenheit des Mädchens von allem, was funkelte und glänzte, einfach hingenommen.
»Unsere Eltern wurden ermordet«, flüsterte Wevia.
Gunnora erstarrte. Sie wollte nicht, dass ihre Geschichte enthüllt wurde, und verstand überdies nicht, warum Wevia ausgerechnet diese Antwort gab.
»Sei still!«, fauchte sie.
Doch Wevia hörte nicht auf sie. »Meine Mutter hatte eine so schöne Kette«, fuhr sie leise fort. »Sie trug sie, als sie starb.«
Wieder wollte Gunnora sie anfahren, aber brachte kein Wort hervor.
Mathilda streichelte liebevoll über ihre Wange. »Und du denkst, wenn du eine Kette trägst wie sie, dann bist du ihr ganz nahe, und ihr Tod erscheint dir nicht mehr ganz so schlimm.«
Gunnora packte Wevia am Arm. »Genug jetzt!«, rief sie.
Sie zerrte ihre jüngere Schwester mit sich in das Gewühl. Die vielen Stimmen und Laute waren jäh keine Prüfung mehr, sondern willkommen, übertönten sie doch den Lärm aus ihrer Erinnerung – das Hufgetrappel, das Klirren, das angstvolle Geschrei, den dumpfen Schlag, als der Kopf ihres Vater fiel.
Mathilda hatte sie bald eingeholt, doch sie hielt Abstand und hakte nicht nach. Dass Mathilda Gunnora Zeit und Raum ließ, die sie brauchte, säte Vertrauen, Fragen hätte sie mit eisigem Schweigen gestraft.
»Wir kamen aus Dänemark«, stieß Gunnora plötzlich heiser hervor. »Wir erhofften uns hier eine Zukunft. Mein Vater war
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