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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Stille herrschte im Raum, selbst seine Mutter höhnte nicht über ihn. Das Einzige, was sich vernehmen ließ, war ihr rasselnder Atem. Sie begann, alt zu werden, wenn auch nicht weniger bösartig, aber sie wusste, was er wusste, ja, was sie alle wussten: Das Warten hatte ein Ende, der entscheidende Moment war gekommen, um alles zu wenden, den Missmut auszuziehen wie ein zerfleddertes Kleid, die Trägheit abzustreifen wie löchrig gewordenes Schuhwerk. Es war ein Fehler gewesen, sein Kriegsglück davon abhängig zu machen, ob er nun die schwarze Dänin fand oder nicht. Seinetwegen konnte sie gern auch weiterhin in den Wäldern verschollen bleiben und dort verrotten wie ihre Runensteine – er würde Richard vertreiben und selbst Graf der Normandie werden, und dann, spätestens dann würde er sie schon noch kriegen.
    In der Stille erklang eine Stimme. Ein Bote war soeben aus Dänemark zurückgekehrt und erstattete Bericht. »König Harald von Dänemark ist nicht gewillt, Richards Bitte zu folgen und einzugreifen, er wähnt sich zu alt dafür. Aber er wird eine Flotte mit vierzig Schiffen schicken. Sie werden aufbrechen, sobald der Frühling kommt.«
    Kurz hielt die Mutter den rasselnden Atem an. Die Klauen des Winters hatten eben erst das Land gepackt und hielten es fest im Griff, aber irgendwann würden der Schnee schmelzen und die Eiszapfen zu tropfen beginnen.
    Vierzig Schiffe, dachte Agnarr, das bedeutet einige hundert Männer. Wenn ich nur die Hälfte davon überzeugen kann, dass Richard ein schlechter Anführer der Normannen ist, ich hingegen ein besserer, ist viel getan.
    »Wo werden sie ankern?«, fragte er.
    »Vor Jeufosse.«
    »Wir müssen dort sein, sobald sie ankommen.«
    Er fügte nichts hinzu, aber allen war klar, was er meinte: Wir müssen diese vielen schwer bewaffneten Krieger dazu bringen, dass sie sich unserer Rebellion anschließen, müssen ihnen Land versprechen, Frauen, Sklaven, Tiere. Damit kann man jeden Mann locken und noch mehr mit der Aussicht, einem Sieger zu dienen.
    Und ein solcher würde er sein, ein solcher musste er sein. Er hob den Arm und stieß einen triumphierenden Schrei aus, den die Männer erwiderten. Ihr Grölen übertönte den rasselnden Atem der Mutter.
    Als wieder Stille herrschte und er weitersprach, war seine Stimme heiser: »Bedenkt jedoch: Es genügt nicht nur, im Frühling in Jeufosse zu sein und die Dänen dort zu erwarten. Noch mehr als je zuvor gilt es, den Hof von Rouen zu unterwandern und Verbündete zu finden. Auch dort sind nicht alle glücklich mit Graf Richards Art, sein Land zu führen. Seine Feinde sind unsere Freunde. Wer auch immer ihm dazu riet – die Entscheidung, ausgerechnet bei König Harald Hilfe zu suchen, wird ihm zum Verhängnis werden.«
    Richard wird seine Macht verlieren, dachte er, ich werde sie erringen. Ich werde der neue Graf der Normandie sein, und die Nachricht darüber wird bis nach Hel dringen zu all den erbärmlichen Toten, die schäbig gelebt und noch schäbiger gestorben sind und die Odin von seiner Tafel in Walhall, ebenso riesig wie prächtig, verbannt hat. In Walhall ist es kalt, aber in Hel noch viel kälter. Berit wird sich dafür verfluchen, dass sie sich lieber tötete, als mich zum Mann zu haben. Und all die Schatten, die flennend und ziellos durch das finstere, eisige Reich streunen, werden lauter über sie lachen, als über ihr eigenes Schicksal zu klagen. Nur die schwarze Dänin wird nicht lachen, wenn sie dereinst zu ihnen stößt. Fürchtet euch, wird sie mit noch schreckgeweiteten Augen verkünden, mit stumpfem Haar und blutverklebter Brust, fürchtet euch vor Agnarr!

 
F ÉCAMP 996
    Sie hatten sich vor den Mönchen in einer Vorratskammer versteckt, inmitten von Fässern mit Rüben und gesalzenem Fisch. Hauptsache, sie waren in Sicherheit. Und tatsächlich hatten Bruder Remi und Bruder Ouen ratlos einige Runden im Hof gedreht und waren nun wieder zurück ins Haupthaus gekehrt. So groß die Erleichterung darüber auch war – Agnes begann in der kühlen Kammer zu frieren, und Emma rümpfte die Nase ob des durchdringenden Geruchs.
    »Lass uns wieder gehen! Wie grässlich es hier stinkt.«
    Agnes versteifte sich. »Aber wenn die beiden in den Hof zurückkehren … wenn sie diese Schriften finden … wenn sie …«
    »Ach, hör doch auf! Was wollen sie gegen meine Mutter und meinen Bruder schon ausrichten!«
    »Hast du mir denn nicht zugehört? Die Zukunft der Normandie steht auf dem Spiel!«
    Emma hob abwehrend die Hand.

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