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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Eltern gelernt. Sie waren einfache, hart arbeitende Menschen, keine Jarls.«
    »Wer hat es dich dann gelehrt?«
    »Vielleicht die Einsamkeit und der Wald. Die wenigen Worte, die man dort macht, haben Gewicht.«
    Er war aufgestanden und zu ihr getreten, doch anders als sonst riss er sie nicht ebenso ungeduldig wie lüstern an sich.
    »Ich wünschte manchmal, auch meine Berater würden nur wenige Worte machen und diese hätten Gewicht«, sagte er nachdenklich. »Doch sie sprechen immer so viel, warnen allzeit vor Gefahren, und diese Gefahren sind, seit ich denken kann, unzählig. Mein Nachbar, Thibaud le Tricheur, will immer noch nicht aufgeben, er ist weiterhin darauf aus, mein Land zu überfallen. Wie viele Tote sollen noch die Wiesen bedecken? Wie viel Blut noch im Boden versickern? Wie viele Witwen und Waisen die Gefallenen betrauern?«
    Ein Bild stieg vor ihr auf, vom Strand, den leblosen Eltern, den Blutlachen um ihre gefällten Körper. Ein ähnliches Bild musste auch er vor Augen haben, so widerwillig, ja traurig er das Gesicht verzog.
    Gunnora wich zurück.
    »Die fränkischen Nachbarn werden dich nie ganz als einen der Ihren akzeptieren«, sagte sie leise. »Besser du wirbst nicht um ihren Respekt, sondern forderst ihn mit aller Härte ein.«
    »Warum gehört er mir nicht schon längst? Ich habe ihre Heere besiegt und verjagt, und dennoch verspotten sie mich als Sohn von Piraten.«
    »Sie sehen in dir den Heiden, doch du willst unbedingt als Christ gelten. Vielleicht liegt darin deine größte Schwäche.«
    Er sah sie nachdenklich an. »Als ich jung war, konnte meine Herrschaft nur gesichert werden, weil König Harald von Dänemark – damals noch ein Prinz – mir zu Hilfe eilte und seine Männer Seite an Seite mit meinen Kriegern gegen die Truppen König Ludwigs kämpften.«
    Als er den Namen ihrer Heimat aussprach, stiegen wieder Bilder vor ihr auf – von Sümpfen, Wäldern, Schnee und dem vereisten Meer, dem einfachen Langhaus, den hungernden Schwestern, den blau verfärbten Fingern und Zehen. Doch welche Macht hatten Kälte und Hunger schon entfalten können, solange sie bei ihrer Mutter am Herdfeuer gesessen und von ihr alles über die Runen gelernt hatte. Sie hatte sie gelehrt, mit Entschlossenheit der Not zu trotzen und, koste es, was es wolle, für sich und die Ihren zu sorgen.
    »Woran denkst du?«
    Sie konnte es ihm nicht sagen. »Warum bittest du König Harald nicht erneut um Hilfe, um die Grenzen zu schützen?«, fragte sie, statt ihm eine Antwort zu geben, und fügte in Gedanken hinzu: Dann kommen Menschen in Scharen aus Dänemark, siedeln sich hier an, träumen von einer Zukunft – und es werden viel zu viele sein, als dass ein Christ allein sie töten könnte.
    »Hm«, machte er. »Zunächst müsste ich meine Nachbarn entzweien. Wenn Gottfried von Anjou beschäftigt wäre, sein Reich zu schützen, könnte er Thibaud nicht helfen, so wie er es offenbar im Sinn hat. Und ohne Verbündete wird Thibaud nicht wagen, mich erneut anzugreifen.«
    Sie konnte mit den Namen nichts anfangen, aber nickte. »Ein guter Plan, aber höre auch auf meinen Rat. Mach sie nicht vergeblich glauben, du seist ein Christ. Bestärke sie in der Ahnung, dass es heidnisches Blut ist, das in deinen Adern fließt. Sie müssen dich nicht respektieren, es genügt, wenn sie dich fürchten.«
    Er nickte wieder. »Du bist sehr klug. Haben dich die Einsamkeit und die Wälder auch das politische Ränkespiel gelehrt? Was hast du dort eigentlich gemacht, und wie bist du dorthin gekommen? Du stammst doch aus Dänemark. Wann hast du deine Heimat verlassen, wann normannischen Boden betreten, und wo sind deine Eltern?«
    So viele Fragen, und jede schmerzte. Gunnoras Züge, eben noch voller Eifer, versteinerten. »Du hast mich gewiss nicht holen lassen, um mit mir über die Vergangenheit zu sprechen.«
    »Und dennoch frage ich dich: Wer bist du? Was hat dich zu dieser weisen, zähen Frau gemacht?«
    Die Frage war nicht ganz so schmerzhaft, umso bitterer jedoch die Einsicht, dass ihr keine rechte Antwort einfiel. Hatte Gunhilds und Walrams Liebe sie stark gemacht oder der Schmerz über ihren Tod, die Kälte des Waldes oder die Wärme ihrer Schwestern, das stete Ringen gegen die Schwermut oder die Hoffnung, irgendwann doch Glück zu finden?
    Um einstigem Kummer seine Spitzen zu nehmen, nichts sagen zu müssen und weitere Fragen zu verhindern, beugte sie sich vor und küsste ihn.

    Agnarr hatte auf seinem Hochstuhl Platz genommen. Gespannte

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