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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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interessiert zu, desgleichen er sich als sehr aufmerksam erwies, wenn es galt, ihre Vorlieben zu erkennen. So hatte er sich gemerkt, dass sie am liebsten Rinderlenden aß und Brombeerwein trank, und ließ beides oft servieren. Sie tat, als würde sie solche Gefälligkeiten nicht bemerken, und lehnte Geschenke schlichtweg ab – einmal eine Fibel mit einem Smaragd, einmal einen Gürtel, der mit einem Jaspis geschmückt war. Er nahm es hin, nur eine Kette aus Saphir drängte er ihr auf.
    »Sie passt zu deinen Augen.«
    »Ich will sie nicht!«
    »Aber vielleicht deine jüngere Schwester Wevia.«
    Gunnora zuckte zusammen. Er kannte den Namen ihrer Schwestern und wusste – was noch mehr zählte – von ihren Eigenarten. Wie sollte sie einen Mann hassen oder zumindest verachten, der ihren Schwestern eine Freude machen wollte?
    In den darauffolgenden Tagen verhielt sie sich auch ihm gegenüber wortkarg. Richard tat, als würde es ihm nicht weiter auffallen, lud sie eines Abends jedoch ein, mit ihm ein Brettspiel zu spielen.
    Gunnora hatte einst oft zugesehen, wie ihr Vater mit Nachbarn würfelte, und sie kannte ein Brettspiel namens Hnefatafl, bei dem es galt, den König gegen seine vielen Angreifer zu schützen, doch dieses Spiel bestand aus noch viel mehr Spielfiguren, und das Brett war aus Elfenbein geschnitzt und in kleine Quadrate aufgeteilt, ja gar mit Löchern ausgestattet, in die man die Bernsteinfiguren stecken konnte.
    »Wie heißt es?«
    »Schach. Wenn du willst, kann ich dir zeigen, wie man es spielt.«
    Dass sie es nicht rundweg ablehnte, betrachtete er als Zustimmung. Prompt begann er, die Spielzüge zu erklären, und wie er erwartet hatte, war Gunnora zu neugierig, nicht zuzuhören und sich alsbald selbst im Spiel zu erproben. Fast jeden Abend spielten sie nun miteinander, und bald war ihr Ehrgeiz erwacht, ihn zu schlagen.
    Die Freude über den ersten Sieg stimmte sie wieder etwas gesprächiger. »Bei diesem Spiel sind alle Stände vertreten«, murmelte sie, »Bauern, Krieger, Könige, nur nicht die Sklaven. Dabei gibt es hier in Rouen einen so großen Sklavenmarkt.«
    Die ersten Male, als sie dort vorbeigekommen war, war sie erschrocken zusammengezuckt. Mittlerweile wusste sie sich besser zu beherrschen, hatte sich aber immer noch nicht an den Anblick der Elenden gewöhnt, die dort mit geschorenem Haar und erschreckend mager, gefesselt und manchmal sogar angekettet ihres Schicksals harrten. Viele stammten von irischen Sklavenmärkten, andere so weit aus dem Süden, dass ihre Haut von der Sonne ganz verbrannt war. Die Kräftigen entsprachen dem Wert eines Pferdes, Frauen und Kinder konnte man viel billiger erwerben.
    Mathilda hatte ihr später erklärt, dass die Kirchenmänner gegen den Handel wetterten und manchmal Sklaven kauften, um sie später freizulassen – vorausgesetzt, es waren keine Heiden, sondern Christen. Doch keiner forderte offen vom Grafen, dem Handel mit Menschen ein Ende zu setzen.
    Das tat auch sie nicht, Gunnora fragte sich nur, wie ein Mensch sich wohlfühlen konnte, war er unter gleißender Sonne geboren und musste nun im Schnee frieren.
    »Die schwarzen Sklaven stammen aus Algier«, erklärte Richard. »Einige Dänen haben das Land überfallen und sie von dort mitgebracht.«
    Gunnora sah zu den Fenstern. Sie waren mit Leder geschlossen, das die eisigen Winde fernhielt, dennoch war es abseits des Feuers auch in diesem Raum kalt.
    »Sie müssen hier frieren, aber noch schlimmer ist, dass sie ihren Familien entrissen wurden, dass sie zusehen mussten, wie ihre Kinder, Brüder, Eltern starben …« Sie erschauderte.
    Richard lehnte sich zurück. »Ich weiß, viele sagen, es sei ein Unrecht, Menschen zu versklaven, aber du kennst sicher die Geschichte von Heimdal, dem Gott, der drei Familien besuchte und dort jeweils ein Kind zeugte – den Jarl, der zum Herrschen bestimmt war, den Karl, der ein Bauer wurde, und schließlich den Sklaven. Im Norden werden die Menschen nicht als gleichrangig betrachtet, und hier ist es ebenso.«
    Gunnora blickte verwirrt hoch. Nie war zwischen ihnen je zur Sprache gekommen, dass sie keine Christin war. Und nie hatte er zugegeben, dass er die Geschichten aus dem Norden kannte und mit ihnen aufgewachsen war wie sie.
    »Als ich einst als Kind in Bayeux lebte, um die dänische Sprache zu lernen, hat mir ein Norweger stets von den Göttern erzählt«, sagte Richard, als könnte er ihre Gedanken lesen. »Am meisten fasziniert hat mich Odin, der ein Auge hergab, um

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