Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
ist die Welt grau, und es gilt, durch diesen Nebel zu finden.«
    »Unser Vater wollte in die Normandie, weil die Sonne dort häufiger scheint«, schnaubte Gunnora.
    »Gewiss, aber bedenke: Selbst die Sonne hat so viele Farben. Milchig weiß steht sie am Morgen am Himmel, kräftig gelb zu Mittag, und beim Untergang am Abend nimmt sie ein glühendes Rot an. Wie sie verändert sich die Welt je nachdem, aus welcher Richtung und mit welcher Stärke ihre Strahlen fallen. Und Menschen verändern sich eben auch.«
    Gunnora wusste das und wollte es sich doch nicht eingestehen. Auch wenn sie sich aufs Bleiben einrichtete, im Innersten blieb sie überzeugt, eines Tages wieder im Wald zu leben und ihre eigene Herrin zu sein.
    Richard war häufig abwesend, um seinen vielen Aufgaben als Herrscher nachzugehen. So galt es, Nachbarn zu besuchen, Lehnsmänner auf sich einzuschwören oder die Stützpunkte außerhalb Rouens zu sichern. Wann immer er jedoch nach Rouen zurückkehrte, rief er Gunnora noch am selben Abend zu sich. Die Gier nach ihr sei unersättlich, meinten die anderen Frauen, weniger neidisch als mit gutmütigem Spott. Offenbar erlebten sie nicht zum ersten Mal, dass der Graf von einer bestimmten Frau besessen war, schienen aber überzeugt, dass seine Leidenschaft alsbald wieder nachlassen würde.
    Gunnora war sich nicht sicher, ob sie sich das wünschen sollte. Jedes Mal machte sie sich widerwillig auf den Weg zum Turm und redete sich ein, ihn zu hassen, aber sobald sie vor ihm stand, fielen die Pflichten des Alltags ebenso von ihr ab wie ihr altes Ich. So leicht, so verführerisch war es, zu vergessen, wer sie war, und nur den Regungen des verräterischen Körpers zu folgen. Manchmal fühlte sie sich wie verhext und fragte sich, ob jemand mit ihr Zauber getrieben hatte, vielleicht mit der Rune des Feuers, Fehu, die für den Wechsel und die Vergänglichkeit stand, aber auch für das Feuer der Liebe, und die, wenn man sie verkehrt zeichnete, den Menschen seiner Wollust auslieferte.
    Immer, wenn sie von ihm ging, nahm sie sich fest vor: Beim nächsten Mal werde ich mich nicht an ihn klammern, als würde ich ertrinken, werde ich nicht keuchen vor Erregung, die er in mir entfacht, werde ich nicht an seinen Haaren reißen, weil es mir gefällt, wie sich sein Gesicht dann halb lustvoll, halb schmerzlich verzerrt. Ich werde unbeteiligt unter ihm liegen, ihm keine Macht über mich geben, zu Eis erstarren.
    Aber die Rune Fehu war stärker als die Rune Isa. In seiner Gegenwart pochte etwas in ihr, was sie sich nicht erklären konnte, und wenn sie es zu betäuben versuchte, schrie es noch lauter: Ich bin jung, das Leben ist nicht vorbei, ich bin kein alter Baum und tief verwurzelt in dunkler Erde, sondern ein saftig grünes Blatt. Es dreht sich im Wind, wird hochgerissen in luftige Weiten und von der Sonne beschienen. Ich bin nicht nur eine Waise, sondern eine Frau. Ich muss nicht alles an mich raffen, um zu überleben, ich kann mich hemmungsvoll verschenken, um glücklich zu sein.
    Zumindest galt es, den Zwiespalt der Gefühle nur mit sich selbst und niemand anderem auszumachen. Die Schwestern waren zu klein, ihn an ihr zu wittern, Mathilda zu rücksichtsvoll, um ihn anzusprechen, und Richard zu gierig nach ihrem Körper, um mit ihr darüber zu reden.
    Nur an einem Abend war es anders. Als Gunnora den Raum betrat, saß er mit gerunzelter Stirn über Urkunden gebeugt und nahm sie gar nicht wahr. Eine Magd war zugegen, die ihm sein Essen gebracht hatte, sie wollte eben den Raum verlassen. Gunnora hielt sie auf.
    »Siehst du denn nicht, dass das Feuer ausgegangen ist? Entzünde sofort ein neues.«
    Richard schwieg, bis die Magd mit einem Feuerstein das Holz angezündet hatte und die Flammen prasselten, doch nachdem sie gegangen war, betrachtete er sie eingehend.
    »Du hast mir gesagt, dass du jahrelang im Wald gelebt hast. Doch dort hast du sicher nicht gelernt, Befehle zu erteilen.«
    Gunnora erwiderte seinen Blick zutiefst verwirrt. Es war ihr nicht entgangen, dass die meisten Menschen Respekt vor ihr zeigten, manche gar Furcht, aber sie hatte bislang angenommen, dass es an der allseits geachteten Mathilda lag, die sie unter ihre Fittiche genommen hatte, nicht an ihrer Wesensart.
    Richard fuhr fort: »Du sprichst mit solch schroffer, dunkler Stimme, dass alle sogleich bereit sind, dir zu gehorchen. Wessen Eltern Kind bist du, dass du so vornehm bist, so stolz, so aufrecht?«
    Sie senkte den Blick. »Das habe ich nicht von meinen

Weitere Kostenlose Bücher