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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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versuchte sich zu erinnern, woher sie sie kannte. Die zwei kräftigen Zöpfe waren rotblond, das Gesicht mit Sommersprossen übersät und die Hände krebsrot – ein Zeichen, dass sie viel arbeitete, was wiederum bedeutete, dass sie Magd war, keine Konkubine.
    »Was starrst du mich so an?«, fragte sie schroff.
    »Du bist eine Meisterin der Runen.«
    Gunnora erstarrte. Die junge Frau hatte Dänisch zu ihr gesprochen … voller Ehrfurcht. Nun wandte sie sich reglos ab und ging.
    Neugier und Befremden stritten in Gunnora, schließlich ging sie der Rotblonden nach und fand sie in der Weberei wieder, in der der Webstuhl mit seinen durch Gewichte beschwerten Kettfäden stand. Mithilfe eines Schiffchens ließ die junge Frau den Schussfaden hindurchgleiten und schlug ihn mit einem Webblatt fest. Sie blickte nicht hoch, als Gunnora näher trat, doch sie hob herausfordernd das Schiffchen. Eine Rune war hineingeritzt.
    »Das ist Jera, die Rune, die nicht nur für eine reiche Ernte sorgt, sondern der Hände Arbeit segnet«, stellte Gunnora fest.
    Die junge Frau schwieg, doch in ihrem Gesicht stand gleiche Ehrfurcht geschrieben wie zuvor.
    »Wie heißt du?«, fragte Gunnora. »Und wer bist du?«
    »Gyrid«, sagte sie leise. »Das Kind dänischer Eltern, die erschlagen wurden, kaum dass sie normannischen Boden betraten.«
    Gunnora suchte Gleichmut zu wahren, aber innerlich erbebte sie.
    »Du hast nicht gefragt, was ich vom Leben will«, fuhr Gyrid hastig fort. »Doch ich sage es dir gleichwohl: Rache für meine toten Eltern. Und dann nach Dänemark heimkehren. Das willst du doch auch, nicht wahr?«
    »Meine Eltern sind tatsächlich tot wie deine, aber …«
    »Ich weiß, Wevia hat es mir erzählt.«
    Gunnora setzte die Vorstellung, dass die junge Frau ohne ihr Wissen Zeit mit ihren Schwestern verbracht hatte, mehr zu als erwartet. Auch wenn sie ihr Befremden nicht zeigen wollte, Gyrid schien es zu erahnen.
    »Du kannst mir vertrauen«, sagte sie schnell, »wir sind doch so etwas wie Schwestern. Unsere Eltern starben, weil die Normannen ihr Land nicht teilen wollten, und ich denke nicht, dass sich daran in Zukunft etwas ändern wird. Jetzt, in Kriegszeiten, sind die Dänen als Krieger willkommen, aber danach sollen sie gefälligst wieder gehen und das fruchtbare Land den Christen überlassen.«
    »Weißt du, wer diese Christen sind, die hierzulande Dänen ermorden? Und wer sie anführt?«
    »Ich kenne keinen Namen, aber du kannst dir sicher sein, dass Graf Richard selbst sie beauftragt hat, unsere Eltern zu töten.« Blanker Hass war der Ehrfurcht in ihren Zügen gewichen.
    Gunnora schwindelte. Diesen Hass hatte sie anfangs auch gefühlt, ihn dann jedoch geschluckt und sich eingeredet, dass Richard mit dem Tod ihrer Eltern nichts zu tun hätte. Erst jetzt erkannte sie den Irrtum. Wie widersinnig zu glauben, dass sie ihn mochte, nur weil ihr Körper ihn begehrte! Wie närrisch auch zu hoffen, dass sie hier eine Zukunft haben und Glück finden würde!
    »Wir brauchen deine Hilfe«, sagte Gyrid mit fester Stimme.
    »Wir?«, fragte Gunnora.
    »In diesem Land gibt es so viele, die Eltern, Brüder und Kinder verloren haben, die Rache suchen, die unsere Bräuche und Sitten am Leben erhalten wollen und den christlichen Glauben ausmerzen. Um das zu erreichen, genügt es nicht, sich im Wald zu verkriechen und Runen zu schnitzen.«
    »Was soll ich stattdessen tun?«
    Gyrid hielt ihrem forschen Blick stand. So viel Stolz, so viel Kälte, so viel Zorn waren darin zu lesen.
    »Graf Richard …«, flüsterte Gyrid nach langem Schweigen, »… Graf Richard muss sterben.«
    Gunnora hatte Gyrid stehen lassen, ohne zu erkennen zu geben, was sie von deren Ansinnen hielt. Gyrid selbst ließ ihr etwas Zeit, dann kam sie eines Tages erneut zu ihr. Kurz zuvor waren Boten in Rouen eingetroffen und hatten die Nachricht überbracht, dass die dänischen Truppen, die zu Richards Unterstützung gesandt worden waren und die mittlerweile vor Jeufosse, einem kleinen Ort direkt an der Seine, ankerten, seine Feinde abgeschreckt hätten. Anstatt die geplante Invasion weiter voranzutreiben, hätten sie sich aufs Verhandeln verlegt.
    »Der Graf wähnt sich stark wie nie«, erklärte Gyrid frohlockend, »und ist doch geschwächt wie nie. So viele Dänen halten sich in der Normandie auf, und sie alle gehorchen im Zweifelsfall nicht ihm, sondern unserem Anführer.« Sie sprach wie im Fieber, die Augen glänzten freudig erregt.
    Gunnora fühlte trotz des Frühlings keine

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