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Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Titel: Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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weiter in die Finsternis des Waldes hinein.

4
    Oktober 2004, Deutschland
    Die junge Frau lief über die Wiesen hinter dem Schloss, zunächst eilig, dann, als das Gebäude außer Sichtweite geriet, immer gemächlicher. Das rotgelbe Kunstwerk des herbstlichen Waldes zog sie an, sie tauchte in die Schatten zwischen den Bäumen ein und ging zehn Minuten einen schmalen Weg entlang, bis sie an einem Ort ankam, der ihr gefiel, der Ruhe ausstrahlte. Auf einem von drei gefällten Baumstämmen setzte sie sich nieder. Eine Ameisenstraße führte an ihren Füßen vorbei, und in der Nähe suchte eine Amsel unter lautem Rascheln in dem herabgefallenen Laub nach Würmern und Insekten.
    Melanie schloss die Augen und atmete tief durch.
    Falkengrund war ihr zu eng geworden. Sie brauchte Raum zum Durchatmen.
    Daran war nicht die neue Dozentin schuld, die man als Ersatz für Sir Darren eingestellt hatte. Trude Gunkel war ein Monstrum in Menschengestalt, sicher. Ihren Unterricht verließ man mit Nackenverspannungen und Magenschmerzen, und wenn man auch nur die Hälfte der Bücher lesen wollte, die sie den Studenten als „abendliche Pflichtlektüre“ aufbürdete, musste man den Begriff „Abend“ bis zur Frühstückszeit ausdehnen. Aber das stellte kein Problem für sie dar. Sie war schon mit Sir Darren ganz gut zurechtgekommen, hatte sich von seinen Sticheleien und seiner Strenge nicht unterkriegen lassen, und sie sah keine echte Bedrohung in der neuen Lehrerin. Gegen Melanies sonniges Gemüt kamen all diese Miesepeter nicht an.
    Woran sie ernsthaft zu zerbrechen drohte, das war die Sache mit Artur und Madoka.
    Madoka hatte bisher nicht zugegeben, sie damals in Margaretes Zimmer niedergeschlagen und ihr mit Mord gedroht zu haben. Sie hatte es auch nicht dementiert, und bestimmt genoss Melanie bei den Studenten und Dozenten von Falkengrund mehr Vertrauen als die finstere Japanerin, aber …
    Es gab ein großes Aber. Ein riesengroßes.
    Die Sache war nicht vom Tisch. Die Morddrohung blieb bestehen, solange Madoka sie nicht zurücknahm und nicht dafür bestraft wurde. Und dann Artur! Nach allem, was Melanie für ihn getan hatte, nach der ganzen Mühe, die sie sich gegeben hatte, um ihn zu entlasten und ihm den Gefängnisaufenthalt so erträglich wie möglich zu machen, hatte er sich während seiner Abwesenheit von Falkengrund ausgerechnet mit Madoka angefreundet. Wer wusste, ob die beiden nicht schon ein Paar waren?
    Wenn Melanie ihn unbedingt verlieren musste, dann würde sie darüber hinwegkommen. Ihre Zuneigung zu ihm war noch nicht auf der „Bis-über-beide-Ohren-verliebt“-Stufe angekommen – sie war noch einen winzigen Schritt davon entfernt … oder redete sich zumindest ein, dass sie das war.
    Aber ausgerechnet Madoka! Melanie hätte es vielleicht akzeptieren können, wenn die schöne Sanjay sich Artur gekrallt hätte, oder die kluge Jaqueline, oder ihretwegen auch das Gothic Girl Isabel, das inzwischen so etwas wie eine Freundin von ihr war. Sie hätte sich gesagt, dass diese Frauen ihr nun einmal etwas voraus hatten, dass man im Leben nicht immer (oder eigentlich fast nie) kriegen konnte, was man wollte, dass sie beim nächsten Mal mehr Glück haben würde, et cetera et cetera. Ihr Herz hätte eine kleine Schramme abbekommen, keinen Sprung. Das Leben würde weitergehen, tralala und hopsasa, auf den langen Winter würde wieder ein Frühling folgen …
    Aber Madoka!
    Madoka!
    Sie war nicht im Geringsten bereit, Artur dieser morbiden, kranken, hässlichen, falschen kleinen Kröte zu überlassen. Nachts bekam sie Albträume von ihr, sofern sie überhaupt Schlaf fand. Und tagsüber drehte sich ihr der Magen um, wenn sie sie nur sah.
    Was konnte sie tun? Sich beim Rektor zu beschweren, machte keinen Sinn. Der gutmütige, nachgiebige Werner Hotten würde Madoka unter keinen Umständen von der Schule verweisen. Wahrscheinlich würde er so etwas nicht einmal tun, wenn er sie geifernd über Melanies zerfleischter Leiche sitzend fand. Die Vorstellung, dass Werner irgendjemanden hinauswarf, war zum Lachen. Doch welche Möglichkeiten gab es sonst? Sich mit der Japanerin zu prügeln, war sinnlos – sie hatte Madokas Kampfkünste am eigenen Leib erfahren. Keine Minute würde sie gegen sie bestehen.
    Melanie spielte mit ihren orangeroten Haaren, drehte sich kleine Löckchen daraus und sah den Ameisen zu, wie sie ihre Lasten schleppten. Sie fragte sich, ob sie so etwas wie Glück oder Befriedigung zu empfinden vermochten. Ob sie sich

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