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Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Titel: Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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ärgerten, wenn ihnen Hindernisse den Weg versperrten, ob sie in Panik gerieten, wenn der Regen ihren Bau unter Wasser setzte, ob sie Neid gegenüber den Drohnen verspürten, die ein genussreicheres Leben führten als sie, oder ob sie jemals nervös wurden, wenn sie ihrer Königin gegenüberstanden. War es notwendig, dass Lebewesen Emotionen hatten? Funktionierte das Leben nicht besser ohne sie?
    Damals, als sie mit Artur einen Ausflug unternommen hatte, nur sie beide, hatte sie versucht, ihn aufzuheitern, ihn zu positivem Denken zu bewegen. Er hatte zu brütendem Nachdenken tendiert und war – das bildete sie sich zumindest ein – in ihrer Gegenwart allmählich aufgeblüht. Nun schien er sie nicht mehr zu brauchen. Er hatte seine Liebe für eine Frau entdeckt, die noch depressiver und verschlossener war als er. Was allen anderen Angst einjagte, schien ihm zu behagen. Fühlte er sich wirklich zu Hause in dieser niedergedrückten, schwermütigen Gefühlswelt, ohne Freunde, ohne Vertrauen, ohne Spaß und Hoffnung? War es das, was er im Grunde seines Herzens wollte, oder fehlte ihm nur die Kraft, aus dieser Dunkelheit auszubrechen? Wie schaffte sie es, sich ihm wieder zu nähern, wenigstens ein normales Gespräch mit ihm zu führen? Im Moment mied er sie, schien sich vor einer Aussprache zu fürchten.
    Melanie zuckte zusammen, als sie ein Geräusch hörte. Es kam aus der Richtung, in die der Weg führte. Sie erhob sich, klopfte sich mechanisch den Po ab, ging bis zur Mitte des Weges. Sie hatte den Eindruck gehabt, dass es Schritte gewesen waren, nicht die Geräusche, die die Vögel und die anderen Tiere des Waldes verursachten. Doch falls sie recht hatte, hätte sich die Person ihr weiter nähern müssen. Der Weg machte in zwanzig Metern Entfernung einen kleinen Knick.
    Sie kniff die Augen zusammen. Stand da jemand hinter den Bäumen? Wehte da der Saum eines weißen T-Shirts hinter einem der Stämme hervor?
    Ihr Herz schien in ihrer Brust zu schrumpfen, und ihre Knie wurden zu Pudding.
    Langsam löste sich die Gestalt aus ihrem Versteck und trat auf den steinigen Waldpfad.
    Die Folge war, dass Melanie der Schweiß ausbrach. Der feuchtkalte Tag, ihre für die Temperatur zu leichte Kleidung – sie konnten es nicht verhindern.
    Auf dem Weg stand Madoka Tanigawa – nein, Madoka Andô, wie ihr richtiger Name offenbar lautete. Anstatt die glatten schwarzen Haare über ihr Gesicht hängen zu lassen, wie die Gespenster es in den japanischen Horrorfilmen zu tun pflegten und wie es auch Madokas Usus war, hatte sie die lange Haarpracht hinter ihrem Kopf zusammengebunden. Es machte sie nicht freundlicher. Ihre tristen dunklen Augen, ihre farblose Haut, die mit ihrem bläulichen Stich an die eines Tiefseefisches erinnerte, ihr blutroter, vampirisch wirkender Mund, zusammen mit den strengen hohen Wangenknochen – all das kam jetzt nur noch deutlicher zum Ausdruck.
    Unwillkürlich sah Melanie sich um.
    Diese Stelle war gut und gerne drei Kilometer vom Schloss entfernt. Um Hilfe zu rufen oder wegzurennen, das stand nicht zur Disposition. Sich zur Wehr zu setzen, schied ohnehin aus.
    Ja, und was gab es sonst noch?
    Etwa reden?
    Mit diesem Geschöpf?
    Sie musterte die Japanerin und wagte den Blick nicht von ihr zu nehmen. Starr stand die Schwarzhaarige dort. Sie trug eine Jeans und ein weißes T-Shirt. Wie meistens. Ihr schien nicht kalt zu sein, obwohl das T-Shirt-Wetter für dieses Jahr wohl vorbei war.
    Wenn Madoka nur mit ihr sprechen wollte, hätte sie ihr dazu nicht bis hierher folgen brauchen. Sie hätte es auf Falkengrund tun können. Selbst ein persönliches Gespräch unter vier Augen hätten sie zum Beispiel im Garten führen können, unhörbar für die anderen und doch unter Beobachtung. Beschützt.
    Sag was! , pulste es in Melanie, und sie wusste nicht, ob sie damit sich selbst meinte oder ihr Gegenüber.
    Zweifellos war Madoka nicht gekommen, um zu reden.
    Die Situation war mehr als unangenehm. Sie war gefährlich! Wenn Madoka sie hier töten wollte, würde niemand sie daran hindern.
    Melanie holte tief Luft. Jetzt musste sie mutig sein. Aber auch wieder nicht zu mutig. Sie musste aus der Lage herauskommen, in der sie sich befand, mit Fingerspitzengefühl. Es war schwierig, die Nerven zu behalten. Die Fingernägel kamen ihr wieder ins Gedächtnis, die langen Fingernägel, die die Asiatin damals auf Melanies Augen gerichtet hatte, bereit zuzustoßen. Nun waren Madokas Nägel gestutzt. Man hatte das im Krankenhaus

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