Meleons magische Schokoladen
die Krallen aus und drosch die Pranke gegen das Holz. Holzsplitter flogen. Danach hatte die Tür in Kniehöhe ein faustgroßes Loch.
Meleon nickte.
„Ich betrachte den Auftrag damit als erfüllt.“
Damit sank er in die Knie und zur Seite.
Goldener Oktober
Ohne Niklas hätte sie nicht gewusst, was sie tun sollte. Zwar hatte die Rückverwandlung tatsächlich eingesetzt – und Isabell war froh darum gewesen, dass Meleon bewusstlos war, als sie sich in ihr zerdrücktes Kleid gewunden hatte – aber ohne Hilfe konnte sie es nicht am Rücken schnüren. Außerdem war es ihr unangenehm, Meleon einfach liegen zu lassen, während das Blut aus den tiefen Krallenwunden zu Boden tropfte, ganz gleich, wie wütend sie auf ihn war.
Niklas schloss ihr das Kleid, versicherte ihr, sie werde zu Hause alles friedlich vorfinden, und lud sich Meleon dann mit erstaunlicher Kraft auf die Arme.
„Sie müssen nun zur Praxis, Fräulein Isabell“, sagte er. „Ihr Vater wird Sie mit nach Hause nehmen und so wird niemand Argwohn schöpfen.“
Eine Viertelstunde später ging Isabell neben ihrem Vater her, der fröhlich über den Nachmittag mit seinen Patienten sprach und dabei seine Kalbsledertasche mit den Messingbeschlägen schwenkte. Isabell gab sich alle Mühe, nicht auffällig wortkarg zu wirken oder zu oft auf ihre Fingernägel zu sehen, unter denen Meleons Blut bräunliche Ränder hinterlassen hatte.
Zu Hause schlüpfte sie schnell an ihrer Mutter vorbei, schrubbte ihre Hände in Seifenwasser, und erschien sauber und nur ein wenig zu blass zum Abendessen.
Später, im Bett bezweifelte sie, dass sie Schlaf finden würde, und war verblüfft, als sie die Augen aufschlug und die Sonne längst aufgegangen war.
Beim Frühstück langte sie kräftig zu. Ihre Mutter legte die Zeitung auf die Anrichte.
„Dein Vater ist schon seit einer Stunde in der Praxis. Möchtest du auch heute hingehen? Ich fand dich gestern Abend sehr blass, Isabell. Du traust dir mehr zu, als gut für dich ist.“
„Du hast recht. Ich werde ein wenig spazieren gehen.“
Isabell lief direkt zu Meleons Laden.
Hinter der Theke stand Niklas.
„Wo ist er?“, fragte sie. „Ich muss mit ihm reden.“
„Er hat sich zurückgezogen, Fräulein Isabell, denn die Wunden sind tief.“
„Herrje! Ich muss ihn trotzdem sehen. Wo ist er? Die Zimmer oben hat er auch gemietet, nicht wahr?“
Niklas nickte.
„Ja, aber Sie können nicht einfach…!“
„Ich kann“, sagte Isabell, ging an ihm vorbei und die Treppe mit dem grün gestrichenen Geländer hinauf. Fragen der Etikette waren ihr im Augenblick vollkommen gleichgültig. Sie öffnete eine Tür und stand plötzlich Meleon gegenüber.
Er starrte sie an und nun wurde sie doch verlegen. Sein Gesicht sah nicht ganz so schlimm aus, wie sie befürchtet hatte, aber die Kratzer waren trotzdem eindrucksvoll. Teilweise hatten sie sich nicht einmal geschlossen.
„Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte sie abrupt. „Ich muss es wissen? Erzeugen die Schokoladenfiguren Halluzinationen?“
Meleon platzte mit einem Lachen heraus und bot ihr dann höflich einen Sitz an. Isabell setzte sich auf den Stuhl, der von Feuer geschwärzt war, und dem ein Stück von der Lehne fehlte. Ihr fiel erst jetzt das sonderbare Mobiliar auf. Und Meleons Kleidung.
Er trug ein bodenlanges Gewand aus fließenden Stoffen in Kaffeebraun und Cremeweiß und dazu eine spitz zulaufende Filzkappe, die sein Haar vollkommen verdeckte.
Hinter ihm, auf einem langen Tisch, standen Glaskolben und Apparaturen, die an die Werkstatt eines Alchemisten denken ließen, und mitten im Raum hing eine silberne, vielfach durchbrochene Lampe, aus der duftender Rauch aufstieg. Die Möbel waren allesamt geschwärzt und beschädigt, sogar das Bett, dessen cremeweißer Überwurf die Brandstellen am Fußende nur umso mehr zur Geltung brachte.
Meleon hatte sich umgedreht und rührt mit einem kleinen Schneebesen in einem Gefäß. Kurz darauf kam er mit zwei kleinen Tassen. Es duftete süß und verlockend.
„Weiße Trinkschokolade“, sagte er und zog sich einen Stuhl heran, an dessen Lehne noch Reste eines goldenen Wappens zu erkennen waren.
Isabell schnupperte an der Tasse und nahm versuchsweise einen Schluck.
Schaumig, cremig und köstlich heiß rann es ihre Kehle hinunter, und obwohl sie nicht gekommen war, um mit Meleon in aller Ruhe Schokolade zu trinken, nahm sie sich die Zeit, die Tasse zu leeren, ehe sie noch einmal fragte: „Was hat das alles zu bedeuten?
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