Meleons magische Schokoladen
atmen.“
„Das ist sehr aufmerksam von Ihnen, Herr Meleon. Ich werde Tante das Konfekt bringen und ihr sagen, dass wir froh sind, einen so passenden Mieter für unser altes Haus gefunden zu haben.“
Meleon verneigte sich, während er die Tür aufhielt. Sein Lächeln wirkte versonnen.
„Arme, alte Frau Kampling“, sagte er zu Isabell. „Schon an die neunzig, habe ich mir sagen lassen. Darf ich Ihnen noch ein Tässchen Kaffee bringen?“
„Das wäre nett.“
Isabell forschte sekundenlang in Meleons dunklen Augen. Er blinzelte nicht und wandte den Blick auch nicht ab. Dann ging er hinter den Ladentisch und schickte Niklas nach dem Kaffee.
Anfang Oktober begann Isabells Mutter Einwände gegen die häufigen Besuche bei Meleon zu machen.
„Natürlich. Diese Sachen sind schier unwiderstehlich. Aber es geht nicht an, dass eine junge, unverheiratete Frau täglich einen alleinstehenden Ladeninhaber besucht.“
„Ich besuche ja nicht ihn, sondern seinen Laden.“
„Das mag sein, Kind. Aber in den Augen der Leute ist es nicht recht. Du verbringst unangemessen viel Zeit dort.“
„Aber der Gehilfe ist immer da: Niklas …“
„Isabell! Bitte sei so gut, und reduziere deine Einkäufe bei Meleon. Deinem Vater ist es schon in der Praxis zu Ohren gekommen, dass du bei Meleon aus und ein gehst. Er hat mich gefragt, ob du deinen Klavierunterricht nicht wieder aufnehmen möchtest. Oder dein Französisch ein wenig polieren.“
„Ich will nichts dergleichen. Und es ist lächerlich. Der Laden fasziniert mich nun einmal, und da außer Klavier und Französisch ja nichts in Frage kommt…“
„Bitte quäle mich nicht wieder mit deinen Ideen, dich in der Medizin zu betätigen!“
„Ich könnte Papa doch so viel helfen!“
„Unsinn, Isabell! Es kommt nicht in Frage. Punktum. Ab Donnerstag kannst du wieder zweimal wöchentlich deinen Französischunterricht nehmen. Ich hatte den Eindruck, du hast noch Mühe mit den Präpositionen.“
„Habe ich nicht“, murmelte Isabell, aber sie wusste, dass es zwecklos war, mit ihrer Mutter diskutieren zu wollen.
In denkbar schlechter Laune verließ sie das Haus, um zu tun, wovon ihr gerade so dringlich abgeraten worden war. In den Straßen brannten schon die Laternen. Der Wind war alles andere als angenehm.
Das Licht in Meleons Auslagen war bereits gelöscht. Isabell sah zögernd zu einem Turm aus Nougatstäben auf vergoldetem Spitzenpapier und wollte schon umdrehen, da bemerkte sie, dass die Tür nur angelehnt war. Ein Tässchen stand auf dem Marmortisch. Und daneben ein offener Kasten Pralinen.
Vielleicht war es als Einladung gemeint, vielleicht wollte sie es nur so empfinden, jedenfalls schob sie die Tür auf, und das Glöckchen gab einen ganz leisen Ton von sich.
„Herr Meleon? Niklas? Ist jemand hier?“
Sie ging bis zum Tisch. Der Duft des frisch gebrühten Kaffees stieg ihr in die Nase und hatte etwas so Heimeliges, dass sie fast sicher war, dass die kleine Tasse für sie hier stand. Ihr Blick fiel auf den Kasten. Er war mit Samt ausgeschlagen. In den flachen Vertiefungen saßen elf Katzen von Körperform und Haltung ganz wie Panther, aber in tiefem Dunkelbraun und cremigem Weiß.
Isabell betrachtete die Schokoladenfiguren, rief noch einmal nach Meleon, und als sie keine Antwort bekam, griff sie in den Kasten und nahm einen der cremeweißen Panther heraus. Er duftete weithin nach der feinen, weißen Schokolade und nach frisch gemahlenem Mohn. Sie sog den Geruch ein und konnte nicht länger widerstehen.
Die Füllung war schwarz, aromatisch, köstlich.
Dann kam Meleon aus dem dunklen Gang zur Küche.
Sein Blick fiel auf die Tasse, auf den Kasten, er machte einen schnellen Schritt, riss den Kasten hoch und starrte auf die leere Stelle, wo der helle Panther gesessen hatte.
Isabell meinte, Funken in seinen Pupillen tanzen zu sehen und konnte vor Schreck nichts sagen. Er packte sie am Arm, zerrte sie hinter sich her in die Küche und zog mit einem schnellen Ruck die Fensterläden vor. Sie sah ihn nur im Halbdunkel.
„Herr Meleon, es tut mir leid. Es war sehr unhöflich von mir, einfach zuzugreifen…“
„Es war unweise. Äußerst unweise. Der Narr muss die Tür offen stehen gelassen haben. Wie dem auch sei…“ Er rief Niklas, der durch die Hintertür geschlüpft kam. „Räume die Pralinenschachtel fort und dann komm her!“
„Ich sollte nun gehen. Es ist spät…“, begann Isabell.
„Ja, ein wenig. Gibt es eine passende Ausrede, die man der Frau Mama
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