Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
sitzt hier vorm Lehrerzimmer. Wir möchten ein Elternteil zum Gespräch hinzuziehen und Ihre Frau war nicht zu erreichen. Ist es Ihnen möglich, gleich vorbeizukommen?“
Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett des Firmenwagens sagte ihm, dass er den nächsten Kundentermin besser verschieben sollte. Miranda musste wieder etwas angestellt haben. „Ich bin in 20 Minuten bei Ihnen.“ Bei der nächsten Gelegenheit wendete Robert den Wagen und fuhr Richtung Schule. Äußerlich war ihm nichts anzumerken, aber innerlich kochte er vor Wut. Dieses Kind raubte ihm noch den letzten Nerv. Das war jetzt schon das vierte Mal in knapp zwei Jahren, dass sie wegen Miri antanzen mussten. Was war es doch gleich alles gewesen? Robert dachte nach. Ach ja! Versetzung gefährdet. Eins. Fensterscheibe zertrümmert. Zwei. Prügelei mit einer älteren Schülerin. Drei. Was mochte „Vier“ sein?
Als er kurze Zeit später mit einem knappen Gruß das Vorzimmer betrat, lächelte die Sekretärin ihn mitleidig an und deutete zur angelehnten Tür des Zimmers der Rektorin. „Gehen Sie nur. Miranda ist schon drin. Frau Hartmann wird sofort da sein.“
Er nickte dankend und betrachtete seine Tochter durch den Türspalt. Sie war blass und ließ die Schultern hängen. Ein leiser Schmerz zog über seine Herzgegend. Als er eintrat, hob Miranda den Kopf und schaute ihm prüfend in die Augen, ob ein Donnerwetter zu erwarten sei.
„ Hi, kleiner Rabe. Worum geht es diesmal?“
Bevor das Mädchen antworten konnte, betrat die Rektorin das Zimmer und machte die Tür fest hinter sich zu. Sie ging wortlos um ihren wuchtigen Schreibtisch herum und nahm Platz. „Wie ich sehe, konnten Sie sich für Ihre Tochter Zeit nehmen, Herr Winter.“
Jetzt erst deutete sie mit einer einladenden Geste auf den freien Stuhl neben ihrer Schülerin. Sie fixierte Miranda mit Falkenaugen.
Robert ignorierte mit Mühe ihr unhöfliches Gebaren. „Ich habe immer Zeit für meine Töchter, wenn sie mich brauchen. Was werfen Sie ihr diesmal vor? Hat sie den Keller unter Wasser gesetzt oder den Hausmeister massakriert?“
„ Sie brauchen nicht albern zu werden, Herr Winter.“ Frau Hartmann maßregelte ihn von oben herab mit einem eisigen Blick. „Diesmal steht Ihnen wohl eine Anklage ins Haus. Miranda hat eine Angehörige unseres Lehrkörpers angespuckt und beleidigt!“
Ungläubig wandte er sich seiner Tochter zu. „Ist das wahr?“
Miranda stampfte im Sitzen mit dem Fuß auf. Tränen des Zornes traten in ihre Augen, die ungewöhnlich matt waren. Sie quetschte ein leises, trotziges „Ja“ hervor.
„ Aber das würde sie nie ohne Grund tun! Etwas Schwerwiegendes muss dem vorausgegangen sein. Dessen bin ich mir sicher. Gibt es Zeugen für diesen Vorfall?“
„ Natürlich, Herr Winter. Die Frau Liebrecht.“
„ Miranda, sag mir was geschehen ist“, bat Robert.
„ Hat ja doch keinen Zweck. Mir glaubt ja keiner.“ Sie begann an ihrer Nagelhaut zu pulen.
Mit fester Hand, aber auch mit Sanftmut, hielt ihr Vater sie davon ab. Die letzte Nagelbettentzündung war schlimm genug gewesen. „Sag es mir bitte. Was ist alles passiert?“
Jetzt liefen ihr die ersten Tränen über die Wangen. „Sie hat es schon wieder getan!“, klagte sie.
„ Was hat sie getan? Und wen meinst du?“
„ Sich über Murat lustig gemacht. Diese bescheuerte Kuh, die Frau Liebrecht. Immer quält sie ihn, nur weil er anders ist.“
Robert versuchte sich zu erinnern, wer Murat war. Dann dämmerte es ihm. „Du meinst den Jungen vom Gemüsehändler, den Autisten?“
„ Pah! Der Junge ist kein Autist. Herr Winter, Sie sollten nicht über Dinge reden, von denen Sie nichts verstehen.“
Das reichte nun. Mit seiner Linken haute Robert auf den überdimensionierten Schreibtisch der Rektorin. Vor Schreck hüpfte sie einen halben Zentimeter in die Höhe.
„ Ich rede mit meiner Tochter. Halten Sie sich da jetzt raus, Frau Hartmann. Zu Ihnen komme ich noch.“
„ Unerhört!“ Die ältliche Rektorin schnappte nach Luft.
„ Erzähl weiter.“
„ Sie hat sich über seine Ängste lustig gemacht. Er kann doch kein knisterndes Papier vertragen, und wenn er aufgeregt ist, sagt er seltsame Sachen und kann nicht vernünftig antworten. Aber er ist klug, das weiß ich! Er hilft mir manchmal mit Mathe. Wenn man ihm nicht in die Augen starrt und leise ist, dann geht er fast ganz normal mit seinem Gegenüber um. Und heute hat sie ihn vor den Anderen so richtig fies blamiert. Da habe ich, als wir alleine
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