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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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von Seiner Gnaden entrissen worden, unter allerlei schrecklichen Verwünschungen ihrer Person, ja, und da sei sie ihm ein wenig aus dem Wege, dieweil er doch so wütend gewesen, und habe ihm den Schlüssel gelassen, jedoch in eben dem Moment hätte sie gehört, wie er einen Aufschrei getan, und ihn in dem offenen Tor querüber hinstürzen sehen. So sei sie zu ihm hingelaufen, um ihm auf die Beine zu helfen, immer noch hoffend , es möge nur eine Ohnmacht sein – und da sei er ganz stocksteif dagelegen, und da habe sie nach Hilfe geschrien, denn sie allein hätte ihn ja nicht heben können – ja, und dann erst seien ein paar Leute aus der Küche gekommen, Hand anzulegen – aber da sei sie schon so durcheinander und so erschrocken gewesen, daß sie gar nicht mehr wisse, was da nun eigentlich getan oder gesagt worden sei. Nur an eines könne sie sich noch erinnern, und beim Gedanken daran müsse sie sich jedesmal aufs neue entsetzen: nämlich, wie das erste Lebenszeichen, das Seine Gnaden, nachdem man ihn aufgerichtet, von sich gegeben hätten, das Heben und Ausstrecken seines Armes gewesen, mit welchem er auf den Hof gedeutet. Und in eben jenem Moment wäre da die Gestalt, ein hochgewachsener Mann, über den Hof geschritten, weiß Gott, woher der so plötzlich gekommen, denn das Außentor sei ja versperrt, und das seit Jahren, und sie wären damals ja allesamt am anderen Tor um Seine Gnaden versammelt gewesen. Ja, da hätte sie also jene Gestalt erblickt – und auch deren Schatten an der Wand – und da sei die Gestalt ganz langsam über den Hof geschritten, und sie selbst, die Erzählerin, hätte in ihrem Entsetzen noch »Aufhalten! Haltet ihn!« geschrien, doch keiner hätte darauf geachtet, dieweil sich ja alle um den Hausherrn bemüht hätten. Und auch, als man diesen endlich aufs Zimmer geschafft, sei ein jeder nur darauf bedacht gewesen, ihn ins Leben zurückzurufen. Ja, dies sei wohl alles, sonst wisse sie nichts zu erzählen. Seine Gnaden (und diesmal meinte sie den jungen Melmoth) wüßte doch gerade soviel wie sie selbst, hätte doch mit eigenen Augen die letzten Leiden gesehen, mit eigenen Ohren die letzten Worte gehört, hätte dies ganze Sterben miterlebt – wie sollte sie da mehr wissen als Seine Gnaden?
    »Das ist wohl wahr«, sagte Melmoth. »Und wie ich es miterlebt habe! Aber – du hast da von einer sonderbaren Geschichte in der Familie gesprochen: weißt du irgend etwas Näheres darüber?«
      »Kein Wort, das war alles lang vor meiner Zeit, so alt ich auch bin.«
      »Gewiß, gewiß. Aber ist mein Oheim jemals abergläubisch gewesen, oder hat er etwa unter den Imaginationen seiner Phantasie gelitten?« Danach sah Melmoth sich gezwungen, eine ganze Menge Synonyme für diese Frage zu finden, ehe er sich schließlich verständlich machen konnte.
    Doch sobald ihm dies gelungen, erhielt er eine klare und eindeutige Antwort: »Nein, überhaupt nicht, niemals«, lautete sie. »Wenn Seine Gnaden im Winter in der Küche saß, um das Feuer im eigenen Zimmer zu sparen, hat er das Geschwätz der alten Weiber niemals ertragen mögen, wenn sie hereingekommen, um sich zeitweis (sie meinte von Zeit zu Zeit) ihre Pfeifen anzustecken. Er pflegte dann eine solche Ungeduld gegen ihren albernen Aberglauben an den Tag zu legen, daß sie sich genötigt sahen, wortlos zu rauchen, ohne das tröstliche Getuschel, wie ein Kind dem bösen Blick verfallen sei, oder wie ein anderes, welches bei Tag ein so augenscheinlich verheultes, übellauniges, krüppeliges Balg sei, Nacht für Nacht sich aus der Hütte stehle, um mit Waldschratt, Elf und Kobold auf dem Gipfel eines benachbarten Berges zu tanzen, wohin es durch eines Dudelsacks Töne gelockt werde, welcher pünktlich jede Nacht vor der Tür des elenden Häuschens zu vernehmen sei.«
    So konnte John nichts anderes mehr tun, als Biddy Brannigan holen zu lassen, die sich noch immer im Hause aufhielt, und von welcher er zumindest hoffte, jene »sonderbare Geschichte« zu hören, die, nach den Worten der alten Wirtschafterin, eingestandenermaßen in der Familie erzählt wurde. Biddy kam denn auch herauf, doch mutete Melmoth ihr Auftritt ein wenig seltsam an: Er gewahrte in den Blicken der Alten eine merkwürdige Mischung aus Servilität und Herrschsucht, was wohl von den Gewohnheiten eines Lebens herrührte, das sich im beständigen Wechsel zwischen kriecherischer Unterwürfigkeit und anmaßender, jedoch geschickter Spiegelfechterei bewegte. Beim Eintreten hielt die Alte

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