Melmoth der Wanderer
einen Arme stützte und den andern abwehrend gegen den Andringenden ausstreckte. Fernan aber zog blank und stellte sich den beiden in den Weg, wobei er Montilla zurief, derselbe möge das Haus alarmieren. Gleichzeitig versuchte er, Isidora von Melmoth hinwegzureißen.
›Fort, Tölpel – aus dem Weg!‹ rief Melmoth da. ›Stürz dich nicht in dein eigenes Verderben! Mich lüstet’s nicht nach deinem Blut, – ein Opfer aus deinem Haus ist wahrlich schon genug! – So laß uns durch, wenn dir dein Leben lieb ist!‹
›Prahlhans – zeig was du kannst!‹ rief Fernan, indem er einen verzweifelten Hieb nach Melmoth führte, welchen dieser ungerührt und mit der bloßen Hand parierte. ›So zieh vom Leder, Feigling!‹ schrie jener abermals, wutentbrannt über diese Abwehr. ›Mein nächster Hieb soll dir den Schädel spalten!‹
So zog denn Melmoth langsam seinen Degen. ›Du Knabe‹, sprach er drohend ›hüte dich! Ist diese Klinge erst auf dich gerichtet, so ist dein Leben wahrlich ausgeträumt! Ich warne dich, sei weise und gib Raum!‹ Anstatt aber Antwort zu geben, machte Fernan einen heftigen Ausfall, welcher indes an der Parade seines Gegners alsbald zuschanden ward.
Mittlerweise waren aber Isidoras Entsetzensschreie an das Ohr all der nächtlichen Zecher gedrungen, und dieselben kamen nun in Schwärmen in den Garten gestürzt, gefolgt von der Dienerschaft, welche die zur Illumination des Festes bestimmt gewesenen Fackeln aus deren Wandarmen gerissen hatten, so daß die gesamte Szene mit einem Mal taghell erleuchtet und von etwa einem Hundert Schaulustiger umgeben war.
›So trennt sie – trennt sie doch und rettet beider Leben!‹ schrie Isidora händeringend zu Füßen ihrer Eltern, welche, gleich all den anderen, starr vor Entsetzen auf dies Schauspiel blickten. ›So rettet meinen Bruder – meinen Gatten!‹
Beim Anhören der letzten beiden Worte überkam Donna Clara die ganze, fürchterliche Wahrheit, und die Entsetzte brach, indem sie dem vor Schreck erstarrten Pater José einen wissenden Blick zuwarf, besinnungslos zusammen. Der Kampf war ebenso kurz wie ungleich: innerhalb weniger Sekunden hatte Melmoth seinen Gegner zweimal durchbohrt. Derselbe stürzte neben seiner Schwester zu Boden und hauchte seine Seele aus!
Eine allgemeine Pause des Schreckens folgte solcher Tat, – um alsbald von dem aus aller Munde ertönenden Geschrei ›Faßt den Mörder!‹ gefolgt zu sein, wobei die Menge um Melmoth sich zu einem Kreise schloß. Der aber versuchte keine Gegenwehr, sondern trat lediglich einige Schritte zurück, wobei er seinen Degen versorgte und die Herzudrängenden mit einer bloßen Armbewegung in ihre Schranken wies. Und dieser eine Wink, welchem eine geheimnisvolle Macht über alle körperlichen Kräfte innezuwohnen schien, er genügte, um einen jeden an dem Platz festzunageln, darauf er sich gerade befand.
Der flackernde Schein der Fackeln, mit welchen ihm die Diener ins Gesicht leuchteten, fiel grell auf Melmoths Züge, und einige der Gäste riefen erbebend aus: ›MELMOTH DER WANDERER!‹
›Jawohl – ich bin’s‹, rief der Unselige aus, – ›und wer von euch will es noch länger wagen, mir in den Weg zu treten? – Wer von euch will mich auf meiner Höllenfahrt begleiten? Es liegt mir nichts daran, euch zu verwunden, – allein, ich will nicht aufgehalten sein! Hätt’ der entseelte Tölpel meinen Worten, nicht aber meinem Degen nachgegeben, so könnt’ die einzige Saite meines Herzens, die menschlich tönte, jetzt noch weitertönen! So aber ist sie heute nacht zersprungen! – Nie mehr will ich ein sterblich Weib versuchen. Warum auch sollte jener Wirbelsturm, der die Gebirge zum Erbeben bringt und der zu Staub und Trümmern eure Städte zerstören kann, weshalb auch sollte er um einer Rosenknospe willen wüten?‹
Dieweil er solches sprach, fiel sein Auge auf Isidoras leblose Gestalt, welche zu seinen Füßen und neben dem toten Körper ihres Bruders darniedergestreckt lag. Er beugte sich zu ihr, und ein Zucken, als kehrte das Leben in sie zurück, durchlief ihren reglosen Körper. Noch tiefer beugte Melmoth sich hinab und flüsterte, unhörbar für die andern: ›Willst du mit mir jetzt fliehen, Isidora? – Jetzt und im Augenblick? Ein jeder Arm ist nun gelähmt, ein jeder Geist erstarrt! – Erheb dich, Isidora, flieh mit mir, dies ist die Stunde deiner Sicherheit!‹ Isidora, welche wohl die Stimme gehört, nicht aber den Sprecher erkannt hatte, hob sekundenlang das
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