Melmoth der Wanderer
willst!‹
›So stellst du ganz dich unter meinen Schutz? Und suchst aus freiem Willen deine Zuflucht in jener Macht, die ich gewähren kann? Und willst von dir aus, daß ich sie gebrauche? – Ich kann mich jener Kräfte, welche du mir zuschreibst, ohne deinen Wunsch und Willen ja nicht bedienen, also habe ich gewartet, bis du selber danach fragtest. Noch kannst du’s widerrufen – überleg!‹
›Und anders willst du mich nicht aus all der Schande und Gefahr erretten? Ist dieses der Beweis deiner Liebe – das Vollgefühl deiner Macht? fragte sie, wegen dieser Verzögerung schon halb von Sinnen.
›Wenn ich dich bitte, noch zu überlegen, – ja, wenn ich selber zaudere und zittre, so ist’s bloß, dir Gelegenheit zu lassen, der Stimme deines bess’ren Ichs zu lauschen.‹
›Ach – errette mich und sei dergestalt du mein bess’res Ich!‹ rief Isidora, zu seinen Füßen niedersinkend.
Bei diesen Worten erbebte Melmoth am ganzen Leibe. Dennoch hob er Isidora auf und suchte die Verstörte zu besänftigen, indem er ihr Sicherheit verhieß mit einer Stimme, welche eher das Gegenteil zu versprechen schien. Dabei durchschritt er hastig das Gemach und stieß mit seinem Fuß an einen Stuhl, darüber man ein Prunkgewand gebreitet. ›Was soll dies?‹ rief er plötzlich. ›Welcher Tölpel braucht solchen Plunder, solchen Mummenschanz?‹
›Dies ist das Kleid, das ich auf dem heutigen Ballfest tragen soll‹, versetzte Isidora. ›Schon nah’n sich meine Dienerinnen, – ich höre sie schon vor der Tür, – ach, wie klopft mir das Herz bei dem Gedanken, daß ich so glitzernden Tand überstreifen soll! – Du wirst mich doch jetzt nicht im Stich lassen?‹ Diese letzte Frage hatte sie in ungestümer, atemloser Angst hervorgestoßen.
›Hab’ keine Furcht‹, sprach Melmoth feierlich. ›Du hast um meine Hilfe mich gebeten, und meine Hilfe soll zuteil dir werden. So möge denn dein Herz nicht stärker zittern, wenn du den Plunder dir vom Körper reißt als jetzt, da man dich zwingt, ihn anzulegen!‹
Die Stunde des Festes war herangekommen, die Gäste trafen ein. Isidora, aufs strahlendste geschmückt in ihrer prächtigen Robe, und unter dem sicheren Schutz aufatmend, welchen die Maske ihren totenbleichen Zügen gewährte, gesellte sich der frohen Menge zu. Nur ein einziges Mal ließ sie sich von Montilla zum Tanz führen und lehnte danach jeden weiteren Tanz unter dem Vorwande ab, sie müsse ihrer Mutter behilflich sein, die Gäste zu empfangen.
Nach dem üppigen Gelage gab man sich in der geräumigen Halle aufs neue dem Tanzvergnügen hin, und auch Isidora schloß sich bangen Herzens der Gesellschaft an. Melmoth hatte ihr ja zugesagt, er werde um die Zwölfte Stunde bei ihr sein, und sie gewahrte an der über dem Halleneingang hängenden Uhr, daß nur noch eine Viertelstunde auf die vereinbarte Zeit fehlte. Der Zeiger rückte unaufhaltsam vor, – jetzt wies er auf die schicksalshafte Zahl, – und dann begann die Uhr zwölf mal zu schlagen. Isidora, die ihre Augen nicht von dem Zifferblatt hatte wenden können, wandte jetzt ihren Blick verzweiflungsvoll von demselben ab. In eben dem Moment aber wurde ihr Arm fast unmerklich berührt, einer der Maskierten beugte sich zu ihr und flüsterte ihr zu: ›Ich bin gekommen!‹ Und er gab das vereinbarte Zeichen.
Isidora, keiner Antwort mächtig, konnte nur stumm dies Zeichen erwidern. ›Beeile dich‹, so fügte er hinzu. ›Die Flucht ist bis ins letzte vorbereitet, doch ist kein Augenblick mehr zu verlieren! – Ich gehe jetzt, – du aber eile dich, sobald wie möglich unterm Säulendach, das gegen Westen führt, zu mir zu stoßen. Die Lichter dort sind aus, die Dienerschaft hat es versäumt, sie wieder anzuzünden. So tu, als ob nichts wär’, doch eile dich!‹
Dies gesagt, tauchte er in der Menge unter, und Isidora folgte ihm nach wenigen Augenblicken. Aber obschon es unterm Säulenvordach dunkel war, genügte doch der schwache Widerschein aus dem festlich erleuchteten Tanzsaal, um ihr Melmoth’s Gestalt zu enthüllen. Schweigend nahm er ihren Arm unter den seinen und zog Isidora mit sich fort.
›Steh, Schurke, steh!‹ ertönte plötzlich der Ausruf ihres Bruders, welcher, auf dem Fuß gefolgt vom Montilla, von dem Balkon herabgesprungen war. ›Wohin entführst du meine Schwester? Und du, unwürdiges, elendes Geschöpf, wohin willst du dich aus dem Staube machen, und mit wem?‹
Melmoth versuchte, an ihm vorbeizukommen, indem er Isidora mit dem
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