Melmoth der Wanderer
ein Ende gesetzt. Die Beamten der Inquisition waren ja eingetroffen, ausgestattet mit allen Vollmachten des Heiligen Tribunals und aufs höchste erregt durch die Nachricht, daß der Wanderer, hinter welchem sie so lange hergewesen, nun doch noch einen Akt gesetzt hatte, durch welchen er in den Machtbereich ihrer Rechtsprechung gerückt wurde, indem solche Handlung ja das einzige menschliche Wesen mit einschloß, mit welchem Melmoth’s einsames Dasein in Verbindung stand.
Es mußten noch einige Wochen verstreichen, ehe Isidora wieder völlig bei Sinnen war. Danach fand sie sich, auf einen Strohsack gebettet, in einer Kerkerzelle wieder, deren einzige Einrichtung sonst nur noch aus einem Kruzifix und einem Totenschädel bestand. Das Licht zwängte sich durch ein enges Gitterfenster, doch suchte es vergeblich, das schmutzige Loch zu erhellen, darein es sich verirrt hatte, ja schien sogar davor zurückzuschrecken. Isidora blickte um sich. Das Licht reichte eben hin, um sie ihr Kind erkennen zu lassen. Sie nahm es auf und drückte es an ihren Busen, von welchem das Kleine ohne ihr Wissen seine fieberheiße Nahrung gesogen, und weinte in krankhafter Entzückung. ›Es ist ja mein Eigen‹, schluchzte sie ›und nur mein Eigen! Es hat keinen Vater, – der ist längst am anderen Ende der Welt, – er hat mich verlassen, – ich aber bin nicht allein, die weil man ja dich mir gelassen hat!‹
Man hielt sie viele Tage in Einzelhaft. Niemand störte, niemand besuchte sie. Und jene Menschen, in deren Händen sie sich nun befand, hatten gewichtige Gründe für diese Art der Behandlung. Nämlich, es lag ihnen daran, daß Isidora, noch vor ihrer Vernehmung, wieder völlig zu Sinne komme, und außerdem wünschten sie, daß die Gefangene Zeit genug habe, jene innige Bindung an die einzige Gefährtin ihrer Einsamkeit zu erlangen, welche in den Händen der Untersuchenden zu einer mächtigen Waffe werden mußte, mit Hilfe derer sie all den Umständen auf die Spur zu kommen hofften, durch welche Melmoth bisher in den Stand gesetzt gewesen, alle Macht und allen Scharfsinn der Inquisition zu nasführen. Die Berichte stimmten ja darin überein, daß Melmoth bislang noch nie ein Weib in Versuchung geführt, noch auch vor einem Weib das fürchterliche Geheimnis seines Schicksals enthüllt hatte. Und es wurde vernommen, wie die Inquisitoren untereinander sprachen: ›Nun, da wir die Delila in Händen haben, soll uns alsbald auch jener Samson ins Garn gehen!‹
Es war in der Nacht vor Isidoras Vernehmung (über deren Zeitpunkt man sie in Unkenntnis gelassen), daß unsere Gefangene die Tür ihrer Zelle sich öffnen und eine Gestalt darin erscheinen sah, in welcher sie trotz der hier herrschenden, trübseligen Düsternis sogleich den Pater José erkannte. Nach einer langen Pause gegenseitigen Entsetzens kniete sie schweigend nieder, um seinen Segen zu empfangen, welchen er ihr voll feierlichen Erhobenseins auch spendete. Und nachdem der gutartige Mönch vergeblich versucht hatte, seinen Zügen einen finsteren, grollenden Ausdruck zu verleihen, erhob er seine Stimme und,weinete bitterlich‹.
Isidora verharrte schweigend, doch war ihr Schweigen nicht jenes der freudlosen Stumpfheit oder der gewissensverhärteten Unbußfertigkeit. So nahm der Pater José schließlich am Fußende des Strohsackes und in einigem Abstand von der Gefangenen Platz, welche sich ebenfalls gesetzt hatte und ihre Wange, über welche eine kalte Träne langsam herniederrollte, an das Köpfchen des Kindes schmiegte.
›Meine Tochter‹, sprach der Mönch, nachdem er seine Fassung wiedergewonnen ›ich danke die Erlaubnis, dich hier besuchen zu dürfen, der Großmut des Heiligen Offiziums.‹
›So will auch ich den Hochwürdigen Herren dafür danken‹, versetzte Isidora, und ihre Tränen flossen rascher vor Erleichterung.
›Man hat mir gestattet, dich davon in Kenntnis zu setzen, daß deine Vernehmung am morgigen Tage stattfinden wird, – und dich zu beschwören, du mögest dich auf dieselbe vorbereiten, – will sagen, falls du noch irgend etwas auf dem Herzen ...‹
›Meine Vernehmung?‹ wiederholte Isidora überrascht, doch augenscheinlich ohne Schrecken. ›Was denn ist’s, worüber ich vernommen werden soll?‹
›Es handelt sich um den unbegreiflichen Bund, welchen du mit jenem dem Satan verfallenen und verfluchten Wesen geschlossen.‹ Des Paters Stimme klang gepreßt vor Entsetzen, als er hinzufügte: ›Meine Tochter, ist’s denn wirklich wahr, daß
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