Melodie der Sehnsucht (German Edition)
schicksalsergeben in den großen Saal hinabschritt, nahm sich Fleurette noch ein wenig Zeit zu träumen. Von einem Ritter, der sie raubte, einem Mann, der bereit war, für sie sein Leben zu geben – oder wenigstens für ihre Herrin Sabine. Fleurette selbst gab sich keinen Illusionen hin. Kein Ritter verliebte sich in eine Zofe, und von einem einfachen Mann solche Mutproben zu verlangen – da versagte selbst ihre rege Fantasie. Aber ob Philippe diesen Mut aufbrachte?
Sie war gespannt, wie der junge Ritter auf Sabines plötzliche Verlobung reagieren würde.
Sabine wäre niemals von selbst auf den Gedanken gekommen, Jules des Caresse als ›alt‹ zu bezeichnen. Natürlich war der große, schwere Mann, der sie an der Seite ihres Vaters erwartete, kein Jüngling mehr. Sein Haar war jedoch längst noch nicht völlig ergraut, sondern fiel voll und dunkel in drahtigen Locken bis auf die Schultern. Die einzelnen weißen Strähnen taten dem Eindruck von Kraft und Vitalität, der von ihm ausging, keinen Abbruch. Jules de Caresse hatte kantige, vielleicht etwas harte, adlerhafte Züge, aber sein Gesicht verriet zweifellos edelste Abkunft. Sabine wand sich unter dem Blick, mit dem er sie sofort abschätzend betrachtete – nicht sehr höflich, aber schließlich hatte auch sie sich nicht ganz gemäß der Etikette verhalten. Sie kam zu spät. Eigentlich wäre es ihre Aufgabe gewesen, die Ritter am Eingang zum Saal als Ehrenjungfrau zu erwarten und jedem einen Willkommenstrunk zu kredenzen. Ihrem künftigen Gatten hätte ein Kuss zugestanden – und zweifellos hatte Fleurette beim Ankleiden vor allem deshalb getrödelt, um ihr diese Pflicht zu ersparen.
Der Ritter nahm dies nun als Grund, Sabine etwas ungnädig zu mustern. Sie bemerkte seine leicht gerunzelte Stirn und wache, dunkle Augen unter dichten Brauen. Beim Anblick des schönen, jetzt in einem demütigen Hofknicks versinkenden Mädchens hätte dieser Blick eigentlich weicher werden müssen, aber Sabine hatte eher das Gefühl, als fixiere er sie jetzt gerade mit dem Ausdruck eines Habichts, der ein zwar scheues, aber doch vorwitziges Mäuslein belauert.
Die meisten Mädchen wären unter dieser Behandlung erschauert, aber in Sabine regte sich eher Ärger. Langsam wich ihr Schrecken und ihre Starre nach der Enthüllung ihres Vaters einem heiligen Zorn. Und hier hatte sie jemanden, auf den sie ihn richten konnte. Was bildete dieser Ritter sich ein, um eine Frau zu werben ohne vorher auch nur ein Wort mit ihr zu wechseln? Und nun starrte er sie auch noch schamlos an, statt sich wenigstens ein paar höfliche Worte zur Begrüßung abzuringen. Nun, das konnte sie auch! Sabine war zur Zurückhaltung erzogen, aber auch zum Stolz. Eine Parfaite brauchte sich vor niemandem zu verbeugen. Wenn sie es tat, so nur aus Höflichkeit und in Demut vor dem Herrn, vor dem alle Menschen gleich sind. Jetzt aber hob sie die Brauen und erwiderte unerschrocken das Starren ihres künftigen Gatten. Auch sie würde diesen Ritter einer Prüfung unterziehen.
Was sie sah, war eigentlich nicht abstoßend. Jules de Caresse war ein großer, starkknochiger Mann, schwer, aber nicht beleibt. Er trug erlesene Kleidung. Zu dunkelroten Beinkleidern aus feinstem Tuch und einer gleichfarbenen Surcotte hatte Sabines künftiger Gatte einen schwarzen Mantel gewählt, gehalten von einem breiten Gürtel, kunstvoll geschmiedet und zweifellos aus echtem massivem Gold. Caresse trug lange schwarze Handschuhe, dazu kostbare Ringe. Er fand erkennbar Freude daran, sich zu schmücken und seinen Reichtum zur Schau zu stellen.
Inzwischen hatte er Sabines unverschämte Blicke wahrgenommen und quittierte sie mit einem Lächeln. Auch dies ließ seine Züge jedoch nicht weicher wirken. Jules de Caresse schien vor allem eines zu sein: kontrolliert. Sabine, die gelernt hatte, Menschen einzuschätzen, fragte sich schaudernd, welche Bestie er da wohl im Zaum hielt.
»Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Marquis«, richtete sie schließlich das Wort an ihn. Sie war es leid, hier nur wie eine Ware taxiert zu werden.
Caresse nickte. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Comtesse«, gab er artig zurück. »Ihr habt mich zwar etwas warten lassen, aber das war der Anblick zweifellos wert. Ein sehr schönes Mädchen, Graf de Clairevaux.« Der Ritter wandte sich an Sabines Vater.
Sabine konnte ihren Ärger kaum zurückhalten. Der Mann sprach von ihr, als sei sie eine Stute, die er eben erworben hatte.
»Wollen wir den
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