Melodie der Sehnsucht (German Edition)
sich für die Auswahl der Stoffe und Schmuckstücke nicht interessiert. Auch an ihrem Hochzeitstag saß sie stocksteif da und ließ sich von den Mädchen wie eine Puppe ankleiden.
»Sie ist ein bisschen blass«, zwitscherte eines der Freifräulein, und eine kleine Comtesse aus dem tiefsten Süden der Provence, die entfernt mit Sabine verwandt war, riet zur Verwendung von Kajal und anderen Schminkutensilien, in deren Geheimnisse sie eine maurische Dienerin eingeweiht hatte.
»Wir könnten sie auch einfach in die Wangen kneifen!« kicherte eine andere, die am Hofe der Herzogin von Aquitanien erzogen wurde. »Komm, Sabine, nun lach mal! Du heiratest heute, das ist ein erfreuliches Ereignis. Jedenfalls im Großen und Ganzen. Manchmal können Männer natürlich etwas grob sein. Aber wenn dir dein Gatte nicht gefällt – auf Caresse wird es reichlich Ritter geben, die dir den Hof machen.«
Fleurette wies die Mädchen schließlich unter allerlei Vorwänden hinaus, bevor Sabine explodierte oder in Tränen ausbrach. Bislang hielt sie sich bewundernswert; nach einer durchweinten Nacht im Anschluss an Philippes Verrat hatte sie ihr Schicksal anscheinend mit Fassung getragen. Fleurette wusste allerdings, dass sie immer noch an Flucht dachte. Der kleine Reitknecht, der Sabine damals nach Montcours begleitet hatte und nun, in Ermangelung erfahreneren Personals, als ihr persönlicher Diener mit nach Caresse geschickt werden sollte, hatte es ihr verraten.
»Die Herrin Sabine stellt so seltsame Fragen«, meinte Gaston und kaute unsicher auf einem Strohhalm. Er wollte sich auf keinen Fall mangelnder Diskretion schuldig machen, aber die Situation überforderte ihn sichtlich. »Wie lange die Ställe bewacht sind, ob einer von uns dort schläft, wie viele Tagesritte es wohl wären bis zum Meer. Denkst du, sie will vielleicht doch nach Italien, Fleurette? Zu den anderen Parfaits? Bei meinem Leben, Fleurette, ich würd’ sie begleiten und auf sie aufpassen. Mir hat’s früher auch besser gefallen, als ich nicht dauernd Angst haben musste, wegen irgendwas in die Hölle zu kommen. Aber ich weiß doch auch nicht, wo’s nach Italien geht, und diese Seefahrt. Meiner Seel, ich bin doch nie über Montcours rausgekommen!«
Fleurette hatte ihn beruhigt und Sabines Fragen als harmlose Konversation hingestellt. Sorgen machte sie sich aber doch. Sabine konnte nicht so dumm sein, allein mit Gaston zu fliehen! Mit Philippe hätte Fleurette der Sache Chancen eingeräumt – der war schließlich ein gestandener Ritter und seine Flucht mit Sabine wäre zwar als Eklat, nicht aber als Verbrechen eingestuft worden. Wenn man das Mädchen jedoch mit Gaston aufgriff, drohte ihr der Scheiterhaufen! Niemand würde glauben, dass sie dem kleinen Knecht aus Liebe in die Verbannung folgte!
Nun, diese Nacht war die letzte, in der Fleurette eine überstürzte Flucht ihrer Herrin fürchten musste. Eigentlich hätte Jules de Caresse die Ehe gleich nach dem Hochzeitsfest mit ihr vollziehen können, aber wie es aussah, würde Sabine ein Aufschub gewährt. Der Ritter bestand darauf, dass der Bund erst gültig sei, wenn er von einem Priester besiegelt worden wäre, und man hatte sich darauf geeinigt, dieses Zeremoniell nun doch in die Hauskapelle von Caresse zu verlegen. So hatte Sabine denn morgen noch ein weiteres Fest in den Hallen ihres Gatten zu überstehen, bevor sich ihr Schicksal endgültig besiegelte.
»Sind Sie bereit, Comtesse?«, fragte Fleurette sanft. Aus dem großen Rittersaal klang bereits Gelächter und Lärmen herüber. Es war hohe Zeit, und nach ihrem Fauxpas bei der Verlobung durfte Sabine ihren Gatten auf keinen Fall noch einmal warten lassen.
Sabine nickte.
»Ich komme, Fleurette. Es hat ja doch keinen Sinn, es länger hinaus zu zögern. Ach, Fleurette, ich wünschte, es wäre wenigstens Philippe.«
Fleurette sah tiefste Verzweiflung und einen Anflug von Angst in den Augen ihrer jungen Herrin. Sie zuckte die Achseln.
»Das lässt sich jetzt nicht mehr ändern, Comtesse. Aber heute ist es doch nur ein Kuss – und ein gemeinsames Mahl. Ihr werdet es überstanden haben, kaum dass die Sonne untergegangen ist.«
»Nur ein Kuss«, seufzte Sabine.
Ob sie inzwischen begriffen hatte, warum Philippe gegangen war?
Florimond d’Aragis pflegte kleine Hofhaltungen wie Clairevaux gewöhnlich nicht aufzusuchen. Der gefeierte Troubadour und in vielen Turnieren siegreiche Ritter erwartete luxuriösere Quartiere und wertvollere Gastgeschenke, als ein
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