Melodie des Südens
wichen vor den hohläugigen Sklaven zurück. Wilson zog seine Pistole und fuchtelte damit herum.
Gabriel bewegte sich weiter vorwärts. Wilson zielte jetzt mit der Pistole auf seine Brust. Gabriel schwankte, blieb aber stehen. Die anderen standen neben ihm.
»Wir brauchen mehr Wasser. Was nützen wir euch denn, wenn wir alle sterben, bevor man uns verkaufen kann?«
Monroe trat aus seinem Zelt und schätzte die Situation ab. Er ging um die Stapel mit Waren herum, die auf dem Floß lagen, und drückte Wilsons Hand mit der Pistole hinunter. »Tot nützen sie uns gar nichts. Gib ihnen Wasser.«
»Und Schatten«, forderte Gabriel. »Diese Frau hat einen Sonnenstich, und die anderen sind nicht weit davon entfernt.«
Er hielt Monroes Blick stand. Niemals in seinem Leben hatte er den Blick gesenkt, weil ihn ein Weißer angesehen hatte. Und vielleicht war dies das erste Mal, dass dieser Mann einen Schwarzen erlebte, der ihm in die Augen sah.
Endlich sprach Monroe. »Ich beobachte dich, mein Hübscher.« Dann ging er zurück in den Schatten seines Zeltes. »Zieht ein Sonnensegel auf und gebt ihnen einen Eimer mit einer Leine«, sagte er zu den Flößern.
Sobald das Sonnensegel aufgebaut war, sorgte Gabriel dafür, dass sich die Sklaven darunter versammelten. Er holte Marie in seine Nähe und gab ihr die erste Schöpfkelle Wasser. Die zweite und dritte Kelle goss er ihr über den Kopf und über die Brust, um ihr Kühlung zu verschaffen. Erst danach reichte er den Eimer weiter zu den anderen. Als er leer war, füllte er ihn wieder und zog zwei Männer mit sich, zum Rand des Floßes. Er senkte den Eimer in den Fluss und ließ ihn weiterreichen. Als alle getrunken hatten, zog er weitere Eimer heraus, damit sie sich das Wasser über den Körper schütten konnten.
Endlich wurde sein Kopf wieder klar, und er konnte anfangen, Pläne zu schmieden. Er konnte sich nicht vorstellen, wie die Schurken ihn in New Orleans verkaufen wollten. Er war gebildet, seine Hände waren weich, sein Benehmen so geschliffen wie das eines weißen Plantagenbesitzers. Und er konnte reden.
Gabriel schauderte bei dem Bild, das ihm durch den Kopf ging. Es gab durchaus Möglichkeiten, einen Sklaven zum Schweigen zu bringen. Mit genügend Brutalität und einem Messer konnte Monroe dafür sorgen, dass er nie mehr ein Wort sprach.
Aber wie sollte Monroe ihn mit Gewinn verkaufen? Er konnte ihn an Boxer verhökern; es gab genug Plätze, wo man verzweifelte Männer gegeneinander kämpfen ließ. Aber Gabriel gedachte nicht, Monroe mehr von seinen sportlichen Talenten zu zeigen – bis der Augenblick zur Flucht gekommen war.
Im Hafen von New Orleans lagen natürlich immer Schiffe. Vielleicht hatte Monroe die Absicht, ihn an einen Kapitän zu verkaufen, der zu viele Leute durch das Gelbfieber verloren hatte und jetzt nicht mehr sehr wählerisch war. Gabriel sah vor seinem inneren Auge, wie er von Bord sprang und durch den Fluss schwamm – seine Angst vor dem tiefen Wasser war schwächer als seine Sehnsucht nach Freiheit.
Aber was, wenn sie ihn angekettet hielten, bis das Schiff auf offener See war? Möglicherweise standen ihm Monate der Sklavenarbeit bevor, ehe er zurückkam. Nein, sobald sie New Orleans verlassen hätten, würde Gabriel mit dem Kapitän verhandeln. Sein Vater würde ein weit höheres Lösegeld für ihn zahlen, als er einbrachte, wenn man ihn als Sklaven hielt. Er würde dem Kapitän anbieten, als Schiffsarzt zu arbeiten, bis sie in England oder Frankreich ankamen. Irgendwann würde er wieder freikommen.
Aber wie sollte er die armen Seelen retten, die mit ihm zusammen in dieser Falle saßen? Dieser Monroe würde sie einen nach dem anderen auf die kleineren Sklavenmärkte in und um New Orleans bringen, wo es die Aufseher mit den Papieren nicht so genau nahmen. Ähnlich skrupellose Käufer würden die günstigen Preise zahlen. Monroe würde eine hübsche Summe verdienen, und die Käufer würden verzweifelte, aber gute Arbeitskräfte gewinnen.
Sie würden jeden Funken Hoffnung brauchen, wenn sie überleben wollten. Gabriel begann, mit den anderen zu sprechen, sie danach zu fragen, woher sie stammten und wie sie entführt worden waren, sie daran zu erinnern, dass sie Ehemänner, Ehefrauen, Mütter und Väter waren. Sie waren mehr als die Sklaven dieses Verbrechers.
14
Im Geiste ging Yves seinen gesamten Weg von Magnolias durch und erwog alle Möglichkeiten. Er kannte seinen Bruder. Gabriel war stolz, und er war ein Kämpfer. Er war keine
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