Melodie des Südens
Gale.«
Erstaunt sah sie den Butler an. Natürlich kannte sie die Plantage Toulouse, die den DeBlieux gehörte, die Nachbarplantage flussaufwärts. Charles öffnete die Schiebetür, und sie betrat den Salon. Dort befand sich ein junger Mann mit blondem Haar, der bei ihrem Eintreten aufstand und sich kurz verbeugte.
»Miss Johnston«, sagte er, »ich bin Robert Gale. Mein Bruder Andrew und ich sind die Aufseher drüben auf Toulouse.«
»Ja, Mr Gale, bitte nehmen Sie doch Platz.«
»Madame DeBlieux schickt mich. Sie macht sich schreckliche Sorgen und hat mich hierhergeschickt, um herauszufinden, wann Sie ihren Neffen zuletzt gesehen haben. Also Dr. Chamard, Gabriel Chamard. Verstehen Sie, Madame erwartete ihn am Donnerstag, spätestens Freitag zurück, aber jetzt haben wir Freitagabend, und sie hat nichts von ihm gehört.«
»Nein, Mr Gale, es tut mir leid, aber ich habe auch nichts von ihm gehört. Dr. Chamard war die ganze Woche nicht hier. Vielleicht ist er zum See gefahren?«
»Mein Bruder Andrew ist dort, um nach ihm zu suchen. Sehen Sie, die beiden Sklaven, die den Doktor hier herüberrudern sollten, sind auch verschwunden.«
Marianne starrte Mr Gale an. Es gab weiß Gott genug Geschichten von entführten Sklaven, die man wieder verkauft hatte. »Sie denken doch um Himmels willen nicht, dass ihnen etwas zugestoßen ist? Dr. Chamard sieht nun wirklich aus wie ein Gentleman – er ist ein Gentleman. Er ist ein freier Mann, niemand würde doch wohl …«
»Nein, Madam, ich hoffe, dass die Flussratten ihn nicht erwischt haben. Aber nun müssen wir abwarten, was Andrew am See herausfindet. Wahrscheinlich sitzen sie alle da, spielen Karten und haben ihren Spaß.«
»Sie lassen mich aber sofort wissen, wenn Sie etwas erfahren, nicht wahr?«
»Selbstverständlich, sobald ich etwas höre.«
Marianne bot ihm das Gästezimmer im Erdgeschoss an, damit er nicht in der Dunkelheit über den Fluss musste, aber Mr Gale lehnte dankend ab. »Ich habe meine Männer am Anleger, wir rudern gleich zurück.«
Marianne stand auf der Veranda und blickte auf das Sternengefunkel auf dem Fluss. Sie war viel zu verstört, um schlafen zu gehen. Sie bewunderte Dr. Chamard sehr, sie mochte ihn, hatte gehoffte, sie könnten Freunde werden. Aber es gab so viele Möglichkeiten, was ihm widerfahren sein mochte. Die Sklavenjäger konnten ihn erwischt haben. Der Fluss …
Gleich am ersten Tag, nachdem er mit Yves und Marcel am See eingetroffen war, machte Adam einen Besuch bei Nicolette Chamard. Sie begrüßte ihn voller Herzlichkeit, obwohl er ohne ihre Brüder kam. Sie trug ein taubengraues Morgenkleid mit blauen Bändern am Mieder und ein blaues Kopftuch. Ihre grauen Augen leuchteten, als sie ihm einen guten Morgen wünschte. Wie nett, dass er vorbeischaute!
»Würden Sie vielleicht gern einen Spaziergang machen, bevor die große Hitze kommt?«, lud er sie ein.
»Aber sehr gern, Monsieur.« Sie nickte ihrem Mädchen wegen des Sonnenschirms zu und nahm Adams Arm. Das Mädchen ging hinter ihnen, und sie nahmen den mit zerstoßenen Austernschalen bestreuten Weg am Seeufer entlang, wo ihnen die Kiefern, Magnolien und Eichen Schatten spendeten.
Adam und Nicolette gingen im gleichen Schritt und entdeckten bald, wie ähnlich sie sich in Temperament und Geschmack waren. Nicht bei jedem Thema waren sie sich einig, aber sie hatten immer reichlich Gesprächsstoff. So bemerkten sie kaum, dass sie schon das Ende des Weges erreicht hatten und umkehren mussten, so eifrig diskutierten sie über die jeweiligen Vorzüge des Schauspiels und der Oper.
Als sie am Eingang zu Nicolettes Häuschen angekommen waren, reichte Adam ihr seinen Arm, um ihr die Treppen hinaufzuhelfen. Sie nahm die Hilfe an, und er wagte es, seine Hand auf die ihre zu legen. Nicolette lächelte ihn an.
»Sehe ich Sie heute Abend? Nach ihrem Auftritt? Wir könnten zusammen essen.«
»Yves und Marcel haben mich eingeladen, Mr Johnston, wollen Sie sich uns nicht anschließen?«
Yves erschien in der Tür, mit einem ernsten Gesichtsausdruck, wie Adam ihn selten bei ihm gesehen hatte. »Komm rein, Nicolette«, sagte er. »Sie auch, Johnston.«
Adam verzog peinlich berührt das Gesicht. »Miss Chamard und ich sind nur …«
»Gabriel ist verschwunden.«
Die Familie – Cleo und Pierre, Nicolette, Yves und Marcel – war in Cleos Häuschen versammelt. Yves begrüßte Adam und Mr Gale. Sie würden jeden Kopf und jede Hand brauchen, wenn sie Gabriel finden wollten.
Als Erstes
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