Melodie des Südens
leichte Beute für einen möglichen Entführer.
Und was wollte ein Sklavenjäger mit einem Mann wie Gabriel anfangen? Zu gut erzogen, zu weiche Hände, um als Arbeitssklave durchzugehen, selbst wenn man ihn zum Schweigen brachte. Sobald Gabriel den Mund aufmacht, dachte Yves, will kein vernünftiger Sklavenhändler irgendetwas mit ihm zu tun haben. Gabriel würde nur Schwierigkeiten machen – er war ein freier Mann, er konnte lesen und schreiben und gut reden. Was wollten sie mit ihm bei einer Versteigerung?
Das alles beunruhigte Yves sehr. Was würden sie also mit ihm tun? Am einfachsten wäre es wohl, ihm einen Schlag auf den Kopf zu geben und ihn in den Fluss zu werfen. Während er eilig nach Magnolias ritt, fiel es ihm immer schwerer, die Hoffnung am Leben zu halten.
Als Yves auf der Plantage ankam, schimmerte ihm das Gaslicht aus den Fenstern im Erdgeschoss entgegen. Er ging am Haus vorbei, obwohl er zu gern einen Blick auf Miss Johnston geworfen hätte, die vermutlich im Salon saß und las oder nähte. Sein müdes Pferd überließ er dem Stallburschen, von dem er sich auch eine Laterne geben ließ, um auf dem Weg in die Sklavenunterkünfte Licht zu haben.
Die Leute waren noch auf, redeten, diskutierten, erledigten im Dämmerlicht noch ein paar letzte Arbeiten. Kinder rannten durch die Gasse einem Ball hinterher, den ihnen jemand aus einer alten Rindshaut und einigen Sehnen genäht hatte.
Yves erkannte Josephs Hütte mit den Blumenkübeln auf der Treppe. Er klopfte an und spürte die Blicke der anderen Sklaven in seinem Rücken. Ob sie wussten, wer er war, was er tat? Es wäre ihm lieber gewesen, sie wüssten es nicht, aber damit konnte er sich jetzt nicht beschäftigen, nachdem Gabriel verschwunden war.
Joseph öffnete ihm. »Kommen Sie rein, Monsieur.«
Yves stellte die Laterne auf dem Tisch ab und erzählte Joseph schnell alles, was er wusste. »Was hast du darüber gehört?«, fragte er den alten Mann. »Irgendwelche Nachrichten über einen hellhäutigen Mann, der entführt wurde?«
»Jede Menge Nachrichten. Überall den Fluss rauf und runter werden im Moment Leute vermisst. Und ich rede nicht von Flüchtlingen, das wüsste ich. Nein, da sind wirklich welche entführt worden.«
»Wohin sind sie unterwegs?«
»Auf jeden Fall flussabwärts, denn von da kommen die Nachrichten, einer nach dem anderen, den Fluss hinunter. Unterhalb von hier müssen es mindestens fünf oder sechs Leute sein. Eine üble Bande, das muss man sagen.«
»Was ist mit Dr. Chamard? Hast du von ihm etwas gehört?«
»Nein, niemand hat etwas über einen Weißen erzählt, auch nicht über einen fast Weißen.«
Sie blieben ein paar Minuten nachdenklich beieinander sitzen, dann sagte Joseph: »Was wollen die denn mit einem Mann wie Dr. Chamard?« Er schüttelte den Kopf.
»Genau«, stimmte Yves ihm zu.
»Wir müssten zu Foreman, wir beide, wenn wir die Laterne mitnehmen, geht es schneller. Wir reden mit Rufus, dem Butler dort, wenn wir ihn aus dem Haus kriegen. Rufus weiß immer, was rundum los ist, und mir erzählt er mehr, als wenn Sie als Gentleman dort vor der Tür stehen.«
Sie lockten den Butler mit einem Lärm vor die Tür, als wenn ein Waschbär in den Keller einbrechen wollte. Die Leute bei Foreman, so berichtete Rufus, hatten einen Frachtkahn gesichtet, eigentlich mehr ein Floß, fast so groß wie das Herrenhaus. Vor ein paar Tagen war es flussabwärts vorbeigekommen. Heutzutage sah man ja so etwas nicht mehr oft. Es war allerdings mitten am Tag gewesen, und das Floß war in der Mitte des Stroms getrieben, sodass niemand hatte erkennen können, welche Fracht es geladen hatte, außer ein paar Ballen Baumwolle und einigen hoch aufgestapelten Fässern.
Im Laternenschein auf dem Sandboden zog er Striche für die Tage, die seitdem vergangen waren, und brachte das Verschwinden eines Sklaven bei Foreman und eines anderen auf der nächsten Plantage mit dem Floß in Zusammenhang. Beide waren in der Nacht verschwunden, als das Floß vorbeigekommen war.
Nach Magnolias zurückgekehrt, fasste Yves einen Entschluss. Marcel, Adam und Mr Gale durchsuchten New Orleans, und Marcel würde dort willige Helfer finden. Er selbst würde versuchen, Gabes Spur auf dem Weg nach Natchez aufzunehmen.
Die Flößer pflegten auf dem südlichen Teil des Flusses unterwegs zu sein und dann zu Fuß über Natchez Richtung Norden zurückzukehren. Wenn sie kein Glück damit gehabt hatten, Gabriel in New Orleans zu verkaufen, würden sie versuchen, ihn
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