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Melville

Melville

Titel: Melville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Elter
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die Wäscheberge, die Bettwäsche, die sicher schon seit
Monaten in Gebrauch ist und diverse, mit Blut und Erbrochenem
getränkte und eingetrocknete Tücher. Ich senke kurz mein Haupt, es
ist einfach eine Schande. Und nichts in mir wehrt sich gegen mein
Vorhaben, dem ein Ende zu setzen. Ich suche mir einige große
Plastiktüten aus der Küche, stopfe sowohl Tücher als auch
Schmutzwäsche in sie. Durchwühle seine Schränke nach frischer
Bettwäsche und Laken. Die, die ich finden kann riecht zwar etwas
gestockt, aber besser als die Vorigen. Ich lüfte die abgezogene
Deckenfüllung und beziehe derweil die Matratze und das Kissen. Ich
stelle mich dabei sicher etwas ungeschickt an, denn Übung habe ich
nicht gerade. Als ich endlich zufrieden bin, jedenfalls so zufrieden
wie ich unter diesen Umständen sein kann, kehre ich zurück in das
Wohnzimmer. Er hat sich ein wenig bewegt, Speichel rinnt ihm aus dem
Mund, den ich sorgsam mit dem Küchenhandtuch wegtupfe. Dann greife
ich unter ihn und hebe ihn auf meine Arme. Er ist leicht, viel zu
leicht.
    „Was
machst du da?“, fragt er leicht benommen.
    „Etwas,
was schon lange vor mir jemand hätte machen müssen.“, antworte
ich leise und trage ihn in das Schlafzimmer. Er hat keine Augen für
die Veränderung, aber ich erwarte auch kein Lob.
    Vorsichtig
lege ich ihn auf die Matratze, hebe die Decke über seinen
gebrechlichen Leib und setze mich dann zu ihm. Schweigend betrachte
ich ihn eingehend, wie er sich auf die Seite rollt und die Decke
umklammert, um die Schmerzen mit seiner Haltung nicht zu vergrößern.
Ich streiche eine seiner zu langen Haarsträhnen aus dem Gesicht und
flüstere dann leise
    „Es
tut mir leid...“. Doch er kann es nicht hören, tief und fest
schläft er und ich erkenne fast ein kleines seliges Lächeln auf
seinen Lippen.
    Mein
Bruder.

    Eine
Stunde sitze ich so bei ihm, verharre komplett, damit ich ihn nicht
störe. Dann erhebe ich mich und lehne leise die Tür an. Etwas in
mir rät dazu, sie nicht zu verschließen, damit ich ihn notfalls
hören kann.
    Ich
kehre zurück in das Wohnzimmer und das Regal mit den Fotos scheint
mich förmlich anzuziehen. Er hat wohl zweimal geheiratet, darauf
deuten jedenfalls die Szenen hin, die ihn im Anzug vor einem
Kirchengebäude stehend und in den Armen eine Frau haltend zeigen.
Doch es ist keine Frau hier, die sich um ihn kümmert, es scheinen
also glücklose Ehen gewesen zu sein.
    Ich
sehe keine modernen Kinderfotos, somit schließe ich eine Vaterschaft
mal aus.
    Weiter
unten sehe ich dann die Fotos, die auch mich betreffen. Sehe ein
Familienfoto aus besseren Zeiten. Jonathan, mein Vater und… meine
Mutter. Sie hält ein Baby auf dem Arm, das müsste dann wohl ich
sein. Ich greife nach dem Bild und betrachte es eingehender. Ich
kenne das Foto gar nicht, es ist schon leicht von den Farben her
verwaschen, die frühen Siebziger. Mit meiner Zeigerfingerspitze
streiche ich kurz über ihr Gesicht, aber stelle das Bild, fast schon
erschrocken von mir selbst, schnell wieder zurück.
    Dann
stehen zwei Bilder dabei, die mich und Jonathan jeweils bei der
Einschulung zeigen und dann noch eines, auf dem er mich stolz im Arm
hält, während wir vor unserem selbstgebauten Baumhaus stehen. Nun
gut, er hat es gebaut, ich habe nur das Werkzeug und die Holzlatten
herbeigeschafft. Ich muss neun Jahre alt gewesen sein, kurz bevor
mein Vater begann mich zu…
    Nein,
daran will ich nicht denken. Nicht jetzt.
    Ich
gehe zur Fensterbank, schwere Jalousien verhindern den Blick nach
draußen und ich fühle mich auch nicht dazu angeregt, dies zu
ändern. Und dann beschließe ich, meinen Gedanken aus der Küche
vorhin in die Tat umzusetzen. Ich suche mir mit meinem Smartphone die
Telefonnummer der Onkologie in dem renommiertesten Krankenhaus der
Stadt. Und ich lese deutlich den Hinweis, dass diese Abteilung auch
einen Hospizdienst leistet. Zum Glück ist es eine Nummer, die
vierundzwanzig Stunden wählbar ist. Krebs nimmt keine Rücksicht auf
die Uhrzeit. Ich verwende meinen richtigen Namen und melde ‚Jonathan
Henry Lancaster‘ als Privatpatient an. Ich will, dass er so nicht
seine letzten Wochen verbringen muss… oder Tage. Erst wirkt die
zuständige Betreuerin etwas abgeneigt, aber die Aussicht auf einen
besonderen Bonus für die Eile, stimmt sie zufriedener und sie sagt
mir ein Bett ab dem nächsten Tag zu, gleich, nachdem sie durch eine
Überprüfung meine Zahlungsfähigkeit festgestellt hat. Es gibt nach
dem Kreditwesen wohl nur

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